Die historische Egedacher-Orgel (1731)
der Stiftskirche Zwettl (Niederösterreich)

 

Zu den größten und kostspieligsten Orgelprojekten, die im 18. Jahrhundert in Wien und Niederösterreich realisiert wurden, zählt die berühmte Egedacher-Orgel des Zisterzienserstiftes Zwettl, das 1137 an einer Kamp-Schleife unweit der Stadt Zwettl gegründet und 1159 geweiht wurde.

Nach der Zerstörung durch die Hussiten 1427 und dem Wiederaufbau erlebte das Kloster Ende des 15. Jahrhunderts und vor allem im 17. Jahrhundert einen großen Aufschwung, der auch in der Barockisierung der Klostergebäude 1722 bis 1735 seinen Ausdruck fand. Das Gotteshaus erhielt damals seine heutige Gestalt, wobei die Baumeister Matthias Steinl und Josef Munggenast, der Bildhauer Joseph Matthias Götz sowie der Maler Paul Troger die gotische Architektur des Kircheninneren mit einer hochbarocken Ausstattung zu einer beeindruckenden Synthese verbanden.

Ein besonderes Juwel ist die große Barockorgel auf der Westempore, die nach einem Prospektentwurf von Joseph Matthias Götz in den Jahren 1728 bis 1731 durch Johann Ignaz Egedacher (1675-1744), einem Mitglied der im 17. und 18. Jahrhundert einflußreichen süddeutsch-österreichischen Orgelbauerdynastie, errichtet wurde.

Der Werdegang der Zwettler Orgel, deren Erbauer 1722 bereits im Dom zu St. Pölten (II/ P/20) sowie 1727 in der Stadtpfarrkirche zu Krems (II/P/18) tätig gewesen war, kann anhand erhaltener Archivalien genau nachgezeichnet werden, wobei auch die Tagebucheintragungen des Abtes Melchior Zaunagg (1706-1747) von größter Bedeutung sind. Wir wissen aus seinen Aufzeichnungen, daß Egedacher am 22. Januar 1728 zu ersten Gesprächen in das Waldviertler Kloster kam, am 25. Februar brieflich einen außergewöhnlichen Orgelentwurf ankündigte und diese »3fache sehr künstliche Visier, so faßt niemallen ersehen worden und villen, so eben derley sach- und kunst verstehen, sehr unbekhandt wär und wunderlich vorkomen wirdt« am 24. März persönlich dem Abt präsentierte.

Am 2. April unterzeichneten Abt Melchior und Johann Ignaz Egedacher den Kontrakt über den Neubau eines repräsentativen, 6000 Gulden teuren Instruments, das über drei Manuale und ein Pedal verfügen und damit zu den größten Orgeln der Region zählen sollte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte im heimischen, stets auf ein bis zwei Manuale beschränkten Orgelbau nur Johann David Sieber 1714 in der Wiener Michaelerkirche ein dreimanualiges Werk geschaffen, wenige Ausnahmen folgten 1746 durch Thomas Schwarz in der Prager Niklaskirche, 1752 durch Johann Henke in der Stiftskirche der Augustiner-Chorherren in Herzogenburg, 1760 wieder durch Johann Henke in der Wallfahrtskirche Maria-Taferl, 1763 durch Anton Gartner im Prämonstratenserstift in Tepl sowie schließlich 1774 durch Franz Xaver Chrismann in der Stiftskirche zu St. Florian.

Egedacher verwirklichte mit Rücksicht auf die räumlichen und damit klanglichen Gegebenheiten der relativ engen Westempore eine außergewöhnliche Konzeption: Er fügte in das zweiteilige Hauptgehäuse nur die Schleifladen und das Pfeifenwerk der zehn Pedalregister ein und vereinigte alle Manualwerke im Brüstungsgehäuse, an das er die Spielanlage mit den Klaviaturen sowie schmiedeeisernen Registerhebeln anbaute. Die Windlade des Hauptwerks kam dabei im zentralen unteren Teil des Rückpositivs zu stehen (Principal 8' fast vollständig im Prospekt), während diejenigen des zweiten und dritten Manualwerks unter zweckmäßiger Ausnützung des zur Verfügung stehenden Raumes jeweils seitlich in Höhe der Klaviaturen installiert wurden. Die-se Anordnung hatte eine außergewöhnlich kurze und direkte Spiel- und Registertraktur zur Folge, wie sie bei einem Instrument dieser Größe nur selten anzutreffen ist.

Die im Vertrag von 1728 enthaltene Disposition mit 35 Registern wurde während der drei Jahre dauernden Bauzeit der Orgel leicht abgeändert. Im Pedal waren beispielsweise ein »Pompardon in 32 Schuech. 16 Schuech hoch von Holz« sowie ein »Nahsart in 5 Schuech« vorgesehen, die dann aber doch in der 16'-Lage beziehungsweise als achtfüßige Posaunenstimme ausgeführt wurden.

Stattete Egedacher das Instrument in Hauptwerk (I), Positiv (II) und Pedal mit allen typischen Klangmerkmalen der süddeutsch-österreichischen Orgelbautradition wie unter anderem sonoren Principalchören, farbigen Weitchorregistern sowie einer doppelt besetzten Hauptwerksmixtur aus, so versuchte er mit seinem »dritten Clavir« dem neuen, galanten Stil seiner Zeit Rechnung zu tragen, der sich bewußt von der strengen Satzweise des Hochbarock abwandte und stattdessen mit zierlichen, anmutigen sowie gefälligen Formen auf den größtmöglichen Genuß der Musikliebhaber ausgerichtet war.

Egedacher suchte dieses Ziel zu erreichen, indem er kühn vier »Absonderliche vndt Special Galanteri Register in zweyerley abtheilungen« (einer in großen Orgeln selten anzutreffenden Baß- und Diskantteilung) als Farbstimmen ohne Werkcharakter und Klangkrone verwirklichte und somit das neue Instrument auch in dieser Hinsicht zu einem Unikat der Orgelbaukunst werden ließ. Fagot 8' (Baß) und Huboa 8' (Diskant) des Galanteriemanuals kamen hinter dem Notenpult frei an den Innenseiten im oberen Einschnitt des Brüstungsgehäuses zu stehen, wo sich der zart schnarrende Klang dieser beiden Zungenregister ungehindert in den weiten Kirchenraum entfalten kann und sie auch für das Nachstimmen in idealer Weise erreichbar sind.

Als weiteres Charakteristikum der Egedacher-Orgel sei auch die tiefe, gebrochene Oktave nicht nur in den Manualen, sondern auch im Pedal erwähnt, wie sie im österreichischen Orgelbau nur mehr in Maria Dreieichen (Anton Pfliegler, 1780) und Maria-Langegg (Stefan Helwig, 1782) erhalten blieb: Untertaste C - Untertaste F - Obertaste D, darüber Stöpsel in der Fußleiste für Fis - Untertaste G - Obertaste E, darüber Stöpsel in der Fußleiste für Gis - Untertaste A mit weiterem chromatischen Verlauf bis g°.

Im Jahre 1753 fand eine erste größere Überholung der Egedacher-Orgel durch den Kremser Orgelmacher Ignaz Gatto d.Ä. (1708-1786) statt, der wohl im Zusammenhang mit der aufblühenden instrumental begleiteten Kirchenmusik auch beauftragt wurde, »das ganze werckh umb einen halben thonn niederer [zu] stimmen« und bei dieser Gelegenheit vermutlich auch die originale Temperatur zu verändern.

1853 baute der Zwettler Andreas Stöger die Spielanlage um, indem er die Manualklaviaturen Egedachers mit einarmigen, spielfreien Tastenhebeln aus »Indianischem Holz und Helfenbein« zugunsten doppelarmiger Tastenwippen aufgab und die gesamte mechanische Traktur im Klaviatur- und Koppelbereich veränderte.

1880 versuchte Josef Breinbauer (1807-1882) aus Ottensheim bei Linz mit Dispositions- und Intonationsveränderungen die Orgel dem musikalischen Geschmack der Spätromantik näher zu bringen, wobei dem Instrument sowohl klanglich als auch technisch (u.a. Registerzüge anstelle der originalen Registerhebel) einige seiner Charakteristika genommen wurden.

Nach weiteren Veränderungen 1912 durch die Firma Gebrüder Rieger aus Jägerndorf (Romantisierung des dritten Manualwerks sowie Einbau einer Klarinette 8' im Positiv) stellte 1941 der Wiener Orgelbauer Ferdinand Molzer auf der hinteren Orgelempore ein vom Kirchenraum nicht sichtbares elektropneumatisches Werk (III/P/53) auf, von dessen Spieltisch über eine komplizierte technische Konstruktion auch die Hauptwerksklaviatur der ansonsten glücklicherweise nicht weiter berührten Egedacher-Orgel angespielt werden konnte. Das Instrument wurde 1983 abgetragen und im Stift gelagert.
Im Jahre 1983 erhielt Gerhard Hradetzky aus Oberbergern bei Krems den Auftrag, die historische Egedacher-Orgel zu restaurieren und in den originalen Zustand von 1731 zurückzuführen:

- Wiederherstellung der originalen Disposition.
- Rekonstruktion der Spielanlage mit neuen Klaviaturen und schmiedeeisernen Registerhebeln.
- Neubau eines aus drei Keilbälgen bestehenden Balghauses in historisierender Ausführung.
- Rekonstruktion der ursprünglichen Stimmtonhöhe a' = 465 Hz mit ungleichschwebender Temperatur.

1991 wurde die Orgel durch Jürgen Ahrend aus Leer-Loga technisch und klanglich vervollständigt.

© Günter Lade (gekürzte Fassung des Booklet-Textes)

Disposition 

 

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Fotos: © Günter Lade

 

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