Die Orgel der Jesuitenkirche (2004) in Wien

 

Hartwig Späth
Der Orgelbauer zu seinem Werk

Im November 1999 erhielten wir die Einladung, für die Jesuitenkirche eine neue Orgel anzubieten. Die Disposition war in wesentlichen Zügen vorgegeben, eine weitere wichtige Vorgabe war, dass der Entwurf zur optischen Gestaltung des Orgelgehäuses die Situation des historischen Kirchenraumes von Andrea Pozzo (1704) zu respektieren und die architektonische Gegebenheit der Doppelempore zu berücksichtigen hatte. Dabei durften keinerlei baulichen Veränderungen an der Grundsubstanz der Kirche vorgnommen werden.

Auf der unteren Empore sollte lediglich der Orgelfuß mit eingebauter Mechanik und Spielanlage Platz finden, um die Aufstellung von Chor und Orchester zu ermöglichen. Der Raum auf der oberen Empore konnte für die Orgel genutzt werden. Die Fenster mussten wegen ihrer wichtigen Wirkung für die Lichtführung des Kirchenraumes frei bleiben.

Der damals amtierende Organist der Jesuitenkirche, Mag. Thomas Schmögner (Initiator des Orgelneubaus nach französisch- symphonischem Vorbild), und Orgelbaumeister Wolfgang Karner (Wien) besichtigten in der Folgezeit unsere Werkstatt sowie unsere zuvor erbaute Orgel im württembergischen Riedlingen. Die Bewertung unseres Wiener Prospektentwurfs durch den Architekten, Herrn Prof. Univ.-Doz. DI Dr. Hueber, und das Denkmalamt, sowie der klangliche und technische Eindruck, den die Orgel in Riedlingen hinterlassen hatte, gaben den Ausschlag, unsere Firma im November 2000 mit dem Bau der neuen Orgel zu beauftragen.

Später, während der Planungsphase, erfolgte mit den genannten orgelbautechnischen Beratern des Projektes eine Studienreise zur Cavaillé-Coll-Orgel der Kirche Saint-François de Sales in Lyon. Sie wurde von uns eingehend besichtigt und gespielt. Beim Spieltisch ging es darum, die typischen Bedienungselemente eines Cavaillé-Coll-Spieltisches zu übernehmen, um für die Musik- und Orgelstadt Wien auch ein Instrument mit diesen Besonderheiten zur Verfügung zu haben. Ansonsten sollten der Sinn und Geist einer Cavaillé-Coll-Orgel aufgenommen und verstanden und nicht Details wie Trakturen, Windversorgung und Windladen kopiert werden.

Für die neue Wiener Orgel wurde eine mechanische Registratur geplant und auch Einführungstritte für Jeux de Fond und Jeux de Combinaison. Zusätzlich wurde eine Setzerkombination vorgesehen, um den heutigen Ansprüchen beim Konzertieren gerecht zu werden.

Wie schon öfters bei großen Instrumenten haben wir auch bei dieser Orgel ein Mini-Barkersystem in den Windladen installiert, das die großen, schwerfälligen und lauten Barkermaschinen früherer Zeiten auf einfache Weise umgeht und ersetzt. Die Windladen verfügen über ein Windregulierungssystem mit Doppelkegelventilen, Rautenfedern und Stoßbälgen. Dieses System hat die Vorteile einer externen Windversorgung ohne den Nachteil des großen Platzbedarfes. Der erzeugte Wind ist sehr druckstabil und reagiert trotzdem weich und sensibel.

Im Inneren der Orgel sind die Werke so eingeteilt, dass über dem Orgelsockel in Kranzgesimshöhe, wie üblich, das Hauptwerk untergebracht ist. In der Mitte befindet sich das Positiv. Seitlich, im Unterteil der beiden großen Pedaltürme, befindet sich das Schwellwerk in C- und Cis-Hälfte geteilt und hat somit eine verzweigte und öfters umgelegte Traktur. Darüber, in der oberen Hälfte der Pedaltürme, ist das Pedalwerk platziert. Im Prospekt der Pedaltürme steht der Prinzipal 16' ab C, im Hauptwerk im Mittelturm der Prinzipal 16' vom Hauptwerk ab F.

Die Orgel erreicht enorme Ausmaße und hat insgesamt eine Höhe von über 12 Metern. Da der Kirchenraum sehr groß ist, nimmt man diese großen Dimensionen der Orgel kaum wahr.

Zwei große Besonderheiten weist diese Orgel auf. Zum einen sind die beiden Pedaltürme um 8° nach innen gedreht, damit man vom Idealstandort vorne in der Kirche, vor der Kommunionbank, beim Blick auf die Orgel nur die Front des Instruments und keine Seitenwände sieht und damit auch die Lichtführung der Orgel optimal ist. Darüber hinaus wurde ein großer Teil der Seitenflächen der Pedaltürme und des Hauptwerkmittelturmes verspiegelt, sodass sich die Körperlichkeit des Orgelgehäuses von der Seite in barocke Illusionen auflöst. Beide Ideen wurden von Herrn Architekt Professor Hueber entwickelt, mit dem auch die Detailgestaltung des Gehäuses wie z.B. die Profilierung abgesprochen wurde.

Nach etwa eineinhalbjähriger Planungs- und Bauzeit in den Jahren 2002 und 2003 konnte die Orgel Anfang 2004 geliefert, aufgestellt und intoniert werden. Damit wurde die Orgellandschaft in Wien um eine interessante Variante bereichert.

 

Disposition

 

Fotogalerie

Wien Jesuitenkirche

Wien, Jesuitenkirche   Wien, Jesuitenkirche - Scheinkuppel

Wien, Jesuitenkirche - alte Orgel   Wien, Jesuitenkirche - neue Orgel

Wien, Jesuitenkirche - Späth-Orgel

Wien, Jesuitenkirche - Spieltisch

Wien, Jesuitenkirche - Spieltisch Detail

Wien, Jesuitenkirche - Orgel 

Fotos: © Günter Lade & Dr. Karl Schütz (Nr. 4)

 

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