Die historische Goll-Orgel (1926) der Abteikirche
des Benediktinerklosters Engelberg (Schweiz)
Die Westempore
der Abteikirche mußte aus finanziellen Gründen lange
ohne Orgel bleiben, bis endlich 1876/77 Friedrich Goll dort ein
grösseres Werk erstellen konnte. Goll war ein Schüler
von Friedrich Haas und damit Enkelschüler von Eberhard Friedrich
Walcker, hatte aber auch bei Merklin in Paris und in England Studien
gemacht und schließlich 1868 in Luzern das Haas’sche
Geschäft übernommen. Sein Schaffen verwertet Elemente
der deutschen wie der französischen Orgelbaukunst. Die Disposition
für Engelberg ging auf einen Vorschlag des Luzerner Stiftsorganisten
P. Leopold Nägeli zurück und wurde dann von Haas und
Goll gemeinsam erarbeitet. Sie umfaßte drei Manuale und
Pedal mit 50 Registern und kann im wesentlichen aus der Disposition
der Orgel abgelesen werden, in der die alten Register gekennzeichnet
sind (*). Das Werk hatte Kegelladen mit Barkerhebeln und einen
Schwellkasten für das III. Manual. Die Experten Stehle und
Angele lobten die Orgel als die beste der Schweiz.
Die große
Orgel aus dem Jahre 1877 war in ihrer künstlerischen Eigenart
ein Meisterwerk gewesen. Etwas weniger geglückt waren die
technischen Anlagen zwischen dem Spieltisch und den Kegelventilen.
Zwar arbeiteten sie während mehrerer Jahrzehnte recht zuverlässig,
waren aber für ein leichtes und präzises Spiel wenig
geeignet. Die neuere Orgelliteratur weckte auch das Bedürfnis
nach einem größeren Klaviaturumfang und nach mehr Spielhilfen.
Erst in den Jahren 1911/12 wurden ein paar Verbesserungen gemacht:
Die Firma Goll baute einige zusätzliche Spielhilfen und den
längst fälligen elektrischen Ventilator ein, und dann
nahm in Verbindung mit dieser Firma der Orgelbauer Beiler eine
Gesamtrevision vor und stellte das II. Manual in einen Schwellkasten.
Damit waren aber die Mängel der Traktur nicht behoben, ja
diese nahmen immer störendere Ausmaße an und riefen
eindringlich nach einer Neugestaltung.
Im Kloster
Engelberg war es vor allem Pater Leopold Beul (1886-1955), der
nach dem Wegzug von P. Ambros Schnyder dessen Erbe als Organist
übernommen hatte. Sein Urteil war in gutem Sinne zeitgemäß:
Man war damals von denÜbertreibungen der Hochdruckepoche
abgekommen und hatte sich eher im Sinne Albert Schweitzers an
den Silbermann-Orgeln orientiert. Es waren denn auch Orgelbauer
dieser Schule, deren Werke P. Leopold zur Vorbereitung der Engelberger
Planung vor allem studierte; nämlich der Meister von Ottobeuren,
Karl Joseph Riepp (1710-1775), und der Freiburger Aloys Mooser
(1770-1839), der im Kloster zu Hauterive und in der Kathedrale
zu Fribourg herrliche Werke geschaffen hat. Die Freiburger Orgel,
an der nachher auch Friedrich Haas seine Kunst entfaltet hatte,
scheint für den Engelberger Erweiterungsbau besonders vorbildlich
gewesen zu sein.
Im Frühjahr
1923 war man so weit, die beiden großen Schweizer Firmen
Theodor Kuhn (Männedorf) und Goll & Cie. (Horw) zur Offertstellung
einzuladen. Der Vertrag mit Goll wurde am 2. August 1923 abgeschlossen
und verzeichnete bereits 121 Register. Aber der Ausbau der Disposition
ging unablässig weiter. Unter anderem wurden nun noch zwei
Schwellkästen für die kleineren Pedalregister eingeplant.
Als letztes der 134 Register hielt die Groß-None 1 7/9’
ihren Einzug in die projektierte Orgel.
Die Ausführung
dauerte wesentlich länger, als man gehofft hatte. Sie begann
im Frühjahr 1924, doch wurden die alten Pfeifen erst gegen
Ende des Jahres in die Orgelwerkstätte zur Revision gebracht.
Nur der leere Prospekt blieb stehen und im Hintergrund der Contra-Principalbaß
32’, dem man auch die alten Kegelventile beließ. Das
Gehäuse erfuhr eine Verbreiterung, wobei man es in Kauf nahm,
daß nun auch die beiden Seitenfenster der Westfront halb
verdeckt wurden. Am 23. März 1925 begannen sieben Orgelbauer
mit dem Einbau der neuen Bälge und Taschenladen.
Alle alten
Pfeifen ließen sich wieder verwenden und nur ganz vereinzelte
Register mußten sich stärkere Eingriffe gefallen lassen.
Die Prospektpfeifen und auch die Attrappen in den ursprünglich
äußersten Feldern gelangten wieder an ihre alten Plätze.
Als Abschluß dienten nun zu beiden Seiten die größten
Pfeifen des schlanken Dolce 8’.
Nachdem
am 24. Juli der neue Spieltisch eingetroffen und die Röhrenpneumatik
eingerichtet war, konnte die Intonation beginnen, eine Arbeit,
die sich bei einem solchen Riesenwerk natürlich durch Monate
hinzog. Aber im Frühjahr 1926 war die Orgel endlich spielbereit.
Für
die Kollaudation hatte man den 2. Mai 1926 ausersehen, den Tag,
an dem sich der Tod des Klostergründers, des seligen Konrad
von Sellenbüren, zum achthundersten Male jährte.
Das neue
Werk funktionierte vom Anfang bis zum Ende ohne jede Störung,
mußte aber noch von den bestellten Experten begutachtet
werden. Als solche walteten der Einsiedler Pater Joachim Gisler
und die Musikdirektoren Josef Dobler und Josef Frei. Ihr ausführlicher
Bericht vom 30. Mai spendet der Orgel in jeder Beziehung hohes
Lob. Die einzige wesentliche Beanstandung betraf das Fehlen eines
kräftigen, tragfähigen Principal 8’ im I. Manual.
Dieser wurde dann als zusätzliches Register vom Abte bewilligt
und später auch eingefügt. Damit waren die Registerzahl
auf 135 und die Kosten auf etwa 120000 Franken angewachsen. Die
Orgel war nun die größte der Schweiz, die fünftgrößte
Europas und die zehntgrößte der Welt.
Pater Leopold
Beul hat die Disposition in der Zeitschrift Chorwächter im
August 1926 veröffentlicht und in drei folgenden Artikeln
ausführlich erläutert, woraus wir einige Hauptgedanken
übernehmen wollen:
Wegleitend
war der Grundsatz: Das gute Alte mit dem guten Neuen zu verbinden,
also auf dem guten Alten aufbauend, die bisherige Orgel folgerichtig
auszubauen und so das Werk unter Berücksichtigung der bereits
vorhandenen Grundlage zu einem akustisch und künstlerisch
entsprechenden Abschluß zu bringen. Dabei sollte der besondere
Charakter jedes Manuals gewahrt werden: Das I. Manual (Grand-Orgue)
sollte sich durch Kraft, Klarheit und majestätische Fülle,
das II. (Positif) als Begleitmanual durch schmaleren Glanz, das
III. (Récit) als Solomanual durch dunklere Sattheit, das
IV. (Clavier de bombardes) als Zungenmanual durch Helle und füllende
Frische auszeichnen. Entsprechendes gilt auch für die einzelnen
Registerfamilien, z. B. die Zungenstimmen, die ebenfalls nach
Klangkreisen auf die Manuale verteilt sind.
Aus den
zahlreichen Spezialitäten sei vor allem auf die vielfachen,
meist zerlegbaren Kornette hingewiesen. Von diesen gründet
eines auf dem 32’ und geht bis zum zehnten Teilton, also
der Superterz, drei gründen auf dem 16’ (worunter zwei
bis zum neunten Teilton, also der None, gehen und eines nach spanischem
Vorbild gar nur aus Zungen besteht) und fünf auf dem 8’
(worunter ebenfalls ein Nonenkornett). - Dann die beiden Harmonium-Stimmen
Dulcian 16’ und Physharmonica 8’ im II. Manual sowie
die beiden anderen Register mit durchschlagenden Zungen Clarinette
8’ im II. Manual und Fagott 8’ im Pedal. Schließlich
die acht Jalousieschweller. Einige von ihnen liegen hintereinander,
was im IV. Manual bis zu dreifacher Schwellung führt.
Technisch
ist der Aufbau der Orgel zu einem wahren Wunderwerk geworden.
Trotz aller Bedenken ist es gelungen, die Riesenorgel in das nur
wenig vergrößerte Gehäuse einzu-bauen, und zwar
mit dem wünschenswerten Sprechraum für alle Pfeifen.
Dank raffinierter Platzausnützung sind alle Teile zugänglich,
und besonders die Zungenpfeifen sind zum Nachstimmen leicht erreichbar.
Neben den beiden großen Hauptbälgen sorgen neun kleinere
Bälge für differenzierten Winddruck. Die Kanäle
sind so reichlich bemessen, daß keine Spur von Windstößigkeit
entsteht. Ein zwölfter Balg betätigt den Schweller des
II. Manuals, und weitere kleine Bälge koppeln daran nach
Belieben auch andere Schweller.
Der Spieltisch
wird ebenfalls immer wieder als ein Wunderwerk bestaunt. Pater
Leopold hatte ihn mit besonderer Sorgfalt geplant und gezeichnet.
Im Ganzen finden sich hier (ohne die einst für die Chororgel
angebrachten und somit funktionslosen Schaltungen) nicht weniger
als 1024 Wippen, Züge und Tritte. Rechnet man die 276 Manual-
und Pedaltasten hinzu, so ergibt sich für den Organisten
die runde Zahl von 1300 zur Verfügung stehenden Einzelbetätigungen.