Edition Lade   -   EL CD 055

Engelsmusik - Kostbarkeiten für Violine und Orgel

 

Elena Denisova

Thomas Daniel Schlee

Die Orgel

 

 

 

  

Elena Denisova, Violine
Thomas Daniel Schlee, Orgel

1 CD   -   DDD   -   Spielzeit: 76' 39
Booklet: deutsch / französisch / englisch   -   20 Seiten   -   4 Abbildungen
€ 18,90

So heikel die Kombination der unendlich nuancierbaren Violine mit den planen Klängen der Orgel auch erscheinen mag, so deutlich hebt sie doch gerade wegen des ihr innewohnenden Kontrastes die gesanglichen Qualitäten des Streichinstrumentes hervor. So wird die Violine unversehens zum orphischen Instrument, eine Quelle für einen nicht versiegenden Gesang ohne Worte.

Grenzenlos, des Atems nicht bedürftig, heben und senken sich die melodischen Linien in den beiden betörenden Werken von Sigfrid Karg-Elert (1877-1933). Obwohl stets schlüssig und klar, bleiben die Formen dieser Stücke frei und wie in einem steten Fluß begriffen. Die Harmonik verfügt in jedem Moment gleichzeitig über diatonische Keuschheit, chromatische Verdichtungen (Max Reger zählte zu den Förderern des Komponisten) und (etwa in erstaunlichen Akkordschichtungen) impressionistisches Kolorit. Bemerkenswert ist die Unmittelbarkeit und Wandlungsfähigkeit des Ausdrucks dieser Musik. Sanctus und Pastorale wirken wie zwei - allerdings grundverschiedene - Szenerien, in denen Utopie und Realität aufeinandertreffen.

Für die am 8. Juni 1867 in Buda(pest) erfolgte Krönung Kaiser Franz Joseph I. zum Apostolischen König von Ungarn komponierte Franz Liszt (1811-1886) seine Ungarische Krönungsmesse. Wahrscheinlich vier Jahre später schuf er die Bearbeitungen des Offertoriums sowie des Benedictus für Violine und Orgel. Aus dem äußerst sparsam gehaltenen Tonsatz, in dem kleinste Rückungen und Veränderungen zu Ereignissen werden, entsteht eine Atmosphäre höchster Dichte und Innigkeit. Bisweilen läßt die Melodik magyarische Einflüsse anklingen, während die dramatischen Aufschwünge auf die orchestrale Originalfassung verweisen. Das Singuläre dieser Musik aber liegt in ihrer Reduktion, in der Schleierlosigkeit ihrer Gestalt.

Der Topos der singenden Violine begegnet uns auf der vorliegenden CD auch in sehr aparten Werken aus der großen französischen Orgeltradition des 20. Jahrhunderts: Jean Langlais (1907-1991), der zu den wichtigsten wie fruchtbarsten Orgelkomponisten seines Landes zählte und als Titulaire der berühmten Cavaillé-Coll-Orgel der Pariser Basilika Sainte-Clotilde Nachfolger von César Franck und Charles

Tournemire war, verfaßte mit seinen Cinq Pièces (1974) eine reizvolle Bearbeitung seiner zwanzig Jahre zuvor komponierten Cinq Mélodies für Stimme und Klavier auf Texte der Renaissancedichter Pierre de Ronsard und Jean Antoine de Baïf. Die Strophenstruktur der Originalfassung wird in der Transkription beibehalten, wobei der Solopart bei jeder neuen Strophe Umspielungen der melodischen Kontur aufweist. Bemerkenswert an diesen Stücken ist der Umstand, daß ihre fast durchgehende Schlichtheit niemals das Langlais eigene stilistische Raffinement vermissen läßt. Hier scheinen Kunstmusik und Volkston (auch, wenn es sich in Wahrheit um einen gewissermaßen artifiziellen handelt) gänzlich miteinander zu verschmelzen.

Joseph Reveyron (1917-2005), zu unrecht weit weniger bekannt, war Organist der Primatiale Saint-Jean zu Lyon. Er hinterließ ein vielfältiges Œuvre mit einem eindrucksvollen Schwerpunkt auf Orgelmusik, vokalen Werken und zahlreichen Kompositionen für Soloinstrumente und Orgel, zu denen auch die in dieser Aufnahme eingespielten Originalwerke zählen. Das 1955 entstandene Verset ist als klingende Entsprechung zu einem Capitulum, also einer Kurzlesung aus einem Bibeltext, zu verstehen, die in eine ausgedehnte Meditation mündet. Reveyrons charakteristische, frei modale Tonsprache äußert sich in der Umsetzung des Vierten Psalmes noch deutlicher, geradezu dramatisch. Wie in einer kleinen symphonischen Dichtung stehen einander in diesem eindrucksvollen Stück zwei stark kontrastierende Elemente gegenüber, die erst am Ende in heiterer Gelöstheit zusammenfinden: die Violine mit ihren Fragen, ihrem Flehen, und die Orgel als Manifestation der göttlichen Erhabenheit.

Drei kurze Orgelinterludien dienen als Interpunktion innerhalb der Werkabfolge: der poetische Chant des Bergers, eine der frühesten Kompositionen von Jean Langlais (1929), das über eine von einer Enkelin des Komponisten zufällig gefundene Tonfolge und in Art eines subtil colorierten Choralvorspieles ausgeführte Jubilatoire (1976) von Joseph Reveyron sowie das einzige Orgelstück von Germaine Tailleferre (1892-1983), ein Nocturne (1977 transkribiert nach einer Serenade für Holzbläser), das - vornehmlich auf den weißen Tasten - seinen berückenden, impressionistisch-elegischen Charme verströmt.

Bei den beiden marianischen Stücken österreichischer, dem musikalischen Jugendstil verpflichteter Komponisten handelt es sich schließlich um authentische Vokalwerke: Das Ave Maria des später als Schöpfer akklamierter Opern zu Berühmtheit gelangten Franz Schreker (1878-1934) entstand 1909 als Gabe für die Mäzenin Prinzessin Alexandrine zu Windischgraetz.

1911 bearbeitete Joseph Marx (1882-1964) sein zwei Jahre zuvor geschriebenes Marienlied auf einen Text von Novalis für Stimme und Orgel. Hier findet sich die für ihn typische, weit ausschwingende und von sinnlichen Harmonien getragene Melodik, die ihn in seinem vokalen und symphonischen Schaffen in der Zwischenkriegszeit zu einem der herausragenden Komponisten seiner Generation machte.

Komplexe musikalische Gefüge beziehen ihre Schlußwirkung oftmals durch den Überraschungseffekt eines gegen Ende hinzutretenden, gänzlich neuen Themas (man denke etwa an das Schlußduett aus Richard Straussens Rosenkavalier). In diesem Sinne ist - nach den vielen zarten Nuancen, die aus den zumeist knappen Formen dieses Programmes hervorleuchten - die Funktion der gewaltigen Chaconne in g-Moll von Tommaso Antonio Vitali (1663-1745) zu verstehen. Erstmals im 19. Jahrhundert von Ferdinand David in seiner Hohen Schule des Violinspiels publiziert, stellt sie ein überaus dankbares Werk dar, um verschiedenste Spieltechniken und Ausdrucksmöglichkeiten des Soloinstrumentes zu wirkungsvoller Geltung zu bringen. Die Autorenschaft Vitalis bleibt trotz mannigfacher Recherchen jedoch im Dunkeln. Bemerkenswert ist die harmonische Entwicklung des Stückes, die bis zu Enharmonik, Terzverwandtschaften, ja sogar bis zur aufsteigenden, nun fünftaktigen (!) Gegenbewegung des klassischen, in vier Stufen absteigenden Chaconnen-Basses reicht, was den Violinvirtuosen zusätzlich Anlaß für Ausschmückungen im durchaus romantischen Gestus bot, die bis heute mit der Aufführungstradition des Werkes untrennbar verbunden scheinen. Handelt es sich also vielleicht doch um ein stilistisches Vexier-Spiel aus dem 19. Jahrhundert? Der Gesang der Sirenen tönt über die Jahrhunderte hinweg …

© Dr. Thomas Daniel Schlee

           

 

P r o g r a m m


Sigfrid Karg-Elert (1877-1933)

01   Sanctus, op. 48b/1
02   Pastorale, op. 48b/2

Germaine Tailleferre (1892-1983)

03    Nocturne - Orgel solo

Franz Liszt (1811-1886)

aus der Ungarischen Krönungsmesse:

04    Offertorium
05    Benedictus

Jean Langlais (1907-1991)

06    Chant des Bergers - Orgel solo

Cinq Pièces:

07    N°. 1
08    N°. 2
09    N°. 3
10    N°. 4
11    N°. 5

Joseph Reveyron (1917-2005)

12    Verset
13    Jubilatoire - Orgel solo

14    Psaume IV

Franz Schreker (1878-1934)

15    Ave Maria

Joseph Marx (1882-1964)

16    Marienlied

Tommaso Antonio Vitali (1663-1745)

17    Ciacona g-Moll

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