Gaston Litaize

Gaston Litaize

Gaston Litaize

Gaston und Simone Litaize am 12. Juli 1989 nach dem Geburtstagskonzert in der Kathedrale von Angers

 

Gaston Litaize, am 11. August 1909 in Ménil-sur-Belvitte in den Vogesen geboren, erblindete wenige Tage nach seiner Geburt an einer Infektion, da ihm die betrunkene (!) Hebamme die Augen nicht gereinigt hatte. Der Verlust des Augenlichts war ein schwerer Schicksalsschlag, den Litaize später jedoch durchaus positiv sah: »Glücklicher Vorfall; ohne die unglückliche Geste einer Krankenschwester hätte ich wahrscheinlich mein Dorf nie verlassen, wie meine Kameraden in einer Spinnerei der Vogesen gearbeitet und nichts von der Herrlichkeit der Musik gewußt!« So aber kam er auf Initiative des Bürgermeisters von Ménil-sur-Belvitte 1917 an die Blindenschule in Nancy, wo man seine Musikalität erkannte und förderte. Neben Unterricht in Harmonielehre und Kontrapunkt erlernte er bei Charles Magin, einem Schüler von Charles-Marie Widor und Louis Vierne, das Klavier- und vor allem Orgelspiel, in dem er es schon sehr früh zu außergewöhnlichen Leistungen brachte.1926 übersiedelte Litaize nach Paris, wo er an der Institution National des Jeunes Aveugles seine musikalische Ausbildung bei Adolphe Marty, einem Schüler von César Franck, fortsetzte und schließlich ab 1927 am Pariser Konservatorium die Klassen von Henri Busser (Komposition), Georges Caussade (Tonsatz), Maurice Emmanuel (Musikgeschichte) sowie Marcel Dupré (Orgel und Improvisation) absolvierte. Den Diplomen (Premiers Prix) in Orgel, Improvisation, Komposition, Kontrapunkt und Fuge folgten verschiedene Interpretations-, Improvisations- und Kompositionspreise nationaler Wettbewerbe, die seinen Namen weithin bekannt machten.

Es ist bewundernswert, wie Gaston Litaize, der mit seinen Studienkollegen Jean Langlais und Olivier Messiaen ein Leben lang freundschaftlich verbunden war, bis ins hohe Alter seinen vielfältigen Verpflichtungen nachkam: Neben einer regen Konzerttätigkeit im In- und Ausland sowie Rundfunk- und Schallplatteneinspielungen war er als Pädagoge, als Leiter der Abteilung Kirchenmusik des französischen Rundfunks, als Organist, als Komponist sowie nicht zuletzt als Orgelsachverständiger tätig, wobei er, wie dies auch in seinem Beitrag über die Orgel der Kathedrale zu Angers anklingt, vor allem dem neoklassischen Ideal verpflichtet war.

Die wichtigsten Etappen seiner Karriere waren im Überblick: 1938 bis 1969 die Professur für Klavier, Harmonielehre, Musikalische Pädagogik, Chorleitung bzw. Orgel am Pariser Blindeninstitut, 1944 bis 1975 die Gestaltung von Gottesdienstübertragungen sowie Sendungen mit Orgel- und Sakralmusik im Rundfunk, 1975 bis 1990 die Professur für Orgel und Improvisation am Conservatoire National de Région in St. Maur-des-Fossés, wo Litaize bis in sein einundachtzigstes Lebensjahr lehrte und durch seine künstlerische Ausstrahlung jungen Organisten wie beispielsweise Olivier Latry entscheidende Impulse geben konnte.Neben seinen pädagogischen Verpflichtungen hatte Gaston Litaize stets auch Organistenstellen inne: nach dem Dienst an Notre-Dame-de-la-Croix in Paris (1930-1931), Saint-Genest in Thiers (1932), Saint-Léon in Nancy (1933) sowie Saint-Cloud (1934-1944) wurde er 1946 zum Titularorganisten der Pariser Pfarrkirche Saint-François-Xavier ernannt. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß er beim Wechsel an eine andere Kirche stets dafür sorgte, daß ein blinder Kollege mit seiner Nachfolge betraut wurde. Gaston Litaize setzte sich überhaupt tatkräftig für die Belange der Blinden ein: er wurde 1947 Vorstandsmitglied der Association Valentin Hauy pour le bien des aveugles, die sich u.a. mit einer großen Musikbibliothek und einem Transkriptionsdienst für Noten um blinde Musiker kümmerte, darüberhinaus gründete er 1948 aber auch einen eigenen Blindenverband, dessen Vorsitzender er bis 1976 war. In diesem Zusammenhang muß erwähnt werden, daß sich Litaize als Laienbruder von Solesmes intensiv mit dem gregorianischen Choral auseinandersetzte und in Anlehnung an Louis Braille für die Notation der Neumen in Blindenschrift ein eigenes System entwickelte.

Als Komponist stand Gaston Litaize nach eigener Aussage stilistisch in der Tradition César Francks, den er einmal als seinen musikalischen Großvater bezeichnete. Sein vielfältiges Schaffen umfaßt in einer spätromantisch bis gemäßigt-modernen Tonsprache neben Orchester-, Klavier- und Vokalmusik vor allem Orgelwerke, für die er oft auf gregorianische Themen sowie auf die klassischen Formen und Techniken etwa des freien Präludiums, der Fuge oder der Passacaglia zurückgriff und diese wie beispielsweise in seinem Prélude et danse fugée mit neuem Leben füllte.

An Epiphanias 1991 gab Gaston Litaize in Vichy sein letztes öffentliches Konzert. Wie bereits im August 1990 erlitt er Ende Juni 1991 einen Herzinfarkt, doch kam er weiterhin dem Organistendienst an Saint-François-Xavier nach. Er spielte hier die Chororgel, da seine große Orgel restauriert wurde. Ihre Fertigstellung durfte Litaize nicht mehr erleben: Er starb kurz vor seinem zweiundachtzigsten Geburtstag, am Abend des 5. August 1991, im Haus der Familie in Fays. Nach dem Tod seines Freundes Jean Langlais am 8. Mai 1991 war dies ein weiterer schwerer Verlust für die französische Orgelkunst der grands maîtres unseres Jahrhunderts, von deren letzten Repräsentanten nur wenige Monate später, am 27. April 1992, auch Olivier Messiaen in die Ewigkeit abberufen wurde.

© Günter Lade (gekürzte Fassung des Booklet-Textes)

 

Gaston Litaize

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Gaston Litaize

Geburtstagsfeier der FFAO für Gaston Litaize am 12. Juli 1989 (mit Simone Litaize und Pierre Vallotton)
Fotos: © Günter Lade (Angers, 1989)


 

EL CD 006        EL CD 006

 


Fotos: © Günter Lade (Angers, 1989)