Die Cavaillé-Coll-Orgel (1857)
der Kathedrale Saint-Jean in Perpignan (Frankreich)
Der in
ein mystisches Halbdunkel getauchte Kathedralraum wurde Ende des
15. Jahrhunderts mit einem prachtvollen gotischen Orgelgehäuse
im Flamboyant-Stil ausgestattet, das vor 1490 (dem Zeitpunkt der
Ernennung des Geistlichen Tarrats zum ersten Organisten der Kathedrale)
vollendet gewesen sein muß und als eines der ältesten
und größten der Orgelbaugeschichte bis heute nahezu
unverändert erhalten blieb. Der flächige, mehrere Etagen
aufweisende Prospekt konnte ursprünglich mit zwei bemalten
Flügeltüren geschlossen werden, die 1504 von einem anonymen
Meister fertiggestellt, 1843 abgenommen und in der Kathedrale
an den Wänden einer Seitenkapelle befestigt wurden. Die monumentalen
Kunstwerke mit einer Höhe von etwa zwölf Metern sowie
einer Breite von mehr als vier Metern zeigen die Taufe Christi
und das Fest Herodes' , während die Thematik der Darstellungen
auf der Rückseite noch unbekannt ist.
Unter dem
Orgelgehäuse befindet sich am unteren Abschluß der
Schwalbennestempore ein Maurenkopf mit beweglichem Unterkiefer,
der wohl ursprünglich beim Treten eines Pedals eine Zunge
herabfallen ließ. Wurden im gotischen Kathedralbau dämonische
Figuren als Sinnbilder des Bösen aus dem Kirchenraum ausgestoßen
und an den Außenmauern als Wasserspeier dienstbar gemacht,
so pflegte man auch im Orgelbau der damaligen Zeit die figürliche
Darstellung des Dämons auf den äußersten Punkt
eines Orgelgehäuse zu verbannen, wo ihn der Organist gleichnishaft
mit einem Fußtritt zu einer lächerlichen Tat zwingen
und somit der Gemeinde sinnbildlich darstellen konnte, daß
Jesus Christus der Herr ist und auch der Satan, er mag wollen
oder nicht, auf seine Weise in das Lob Gottes einstimmen muß.
Wie in Perpignan wurde im spanischen Orgelbau der Teufel auch
in Maurengestalt dargestellt und damit an den Sieg über den
Islam und die Araber (die Mauren) erinnert, die ab 711 für
Jahrhunderte die iberische Halbinsel besetzt hatten und ihr letztes
Königreich Granada erst 1492 verloren.
Das insgesamt
19,75 Meter hohe und 8,80 Meter breite Orgelgehäuse der Kathedrale
zu Perpignan beinhaltete ursprünglich ein Werk mit 21 Registern
auf zwei Manualen und Pedal, das von einem anonymen spanischen
Meister erbaut wurde, im zentralen Pfeifenfeld über dem Spielschrank
gegensätzlich angeordnete Prospektpfeifen aufwies und um
1550 ein Rückpositiv erhielt. 1682 arbeiteten André
und sein Sohn Jean Eustache an dem Instrument, bevor Jean de Joyeuse
1685 bis 1688 ein neues Werk mit 28 Registern auf drei Manualen
und Pedal in das Gehäuse einfügte. Weitere Arbeiten
erfolgten von 1743 bis 1744 durch Claude Moucherel (Überholung),
1786 durch Jean Pujol (Erweiterung um 4 Register) sowie 1844 in
nachteiliger Weise durch Larroque (Neubau, III/P/50), bis schließlich
1854 Aristide Cavaillé-Coll mit einer grundlegenden Erneuerung
der Orgel betraut wurde.
Auf der
Grundlage des am 12. November 1850 erstellten Kostenvoranschlags
konzipierte Cavaillé-Coll unter Beseitigung des als nicht
erhaltenswert erachteten Rückpositivs ein neues Instrument
mit 58 Registern auf vier Manualen und Pedal, für das er
neben 33 Stimmen des bestehenden Instruments auch die alten Windladen
übernahm, diese für die jeux de fonds und jeux de combinaison
mit doppelten Windkästen versah und schließlich alle
Teile des Werks im Raum zwischen der historischen Prospektfront
und der Außenmauer der Kathedrale in neuer Ordnung aufstellte:
- auf dem
Niveau der Empore den eingebauten Spieltisch mit neuen Klaviaturen
(54 bzw. 25 Töne) und Registerzügen, alle mechanischen
Teile der neuen Spiel- und Registertraktur sowie (das Hauptgebläse
in einem eigenen Raum) die neue Balganlage mit verschiedenen Winddruckhöhen;
- in der ersten Etage direkt hinter und parallel zum (veränderten)
Prospekt zwei diatonische Pedalladen sowie anschließend
auf Sturz die chromatischen Windladen des Grand-Orgue (links)
und des noch in die zweite Etage ragenden Bombarde (rechts);
- in der zweiten Etage parallel zum Prospekt zwei neu angefertigte
diatonische Windladen des Positif sowie links hinter der C-Lade
des Positivs in einem Schwellkasten auf Sturz die chromatische
(frühere Rückpositiv-) Lade des Récit expressif.
Entgegen
altem Brauch brachte Cavaillé-Coll das Positiv nicht auf
der ersten, sondern auf der dritten Manualklaviatur zum Klingen
und konzipierte somit die Manualverteilung Bombarde (I), Grand-Orgue
(II), Positif (III) und Récit expressif (IV) nach der klanglichen
Intensität der entsprechenden Werke. Im praktischen Gebrauch
erweist sich dabei, daß Aristide Cavaillé-Coll klanglich
eigentlich ein nur zweimanualiges Werk geschaffen hat, da sowohl
Grand-Orgue und Bombarde als auch Positif und Récit expressif
jeweils eine Klangebene bilden, die noch dazu mit jeweils einer
gemeinsamen Barkermaschine verbunden ist.
Der bis
1854 stumme Prospektprincipal 24' , dessen größte,
mehr als zehn Meter hohe Pfeifen aus Holz gefertigt und mit Zinnfolie
überzogen sind, wurde von Aristide Cavaillé-Coll sorgfältig
überarbeitet und wieder nahezu vollständig zum Klingen
gebracht.
Die am
24. Dezember 1857 geweihte Cavaillé-Coll-Orgel der Kathedrale
zu Perpignan wurde 1928 bis 1930 durch Maurice Puget (Toulouse)
umgebaut und um 17 Register erweitert sowie schließlich
1991 bis 1993 von Jean Renaud (Nantes) mit Ausnahme der Klaviaturumfänge
und der von Puget eingefügten Barkermaschine für das
Récit expressif auf den Zustand von 1857 zurückgeführt.