Die Orgel der Pfarrkirche Saint-François
in Lausanne (Schweiz)
Über eine erste Orgel,
die zur Zeit, als die Kirche noch den Franziskanern gehörte,
hätte existieren können, ist nichts bekannt, auch nicht
über den Abbruch eines Instruments nach der Reformation.
Im 18. Jahrhundert besaß
die Kathedrale bereits einige Jahre eine neue Orgel, während
Saint-François noch immer kein Instrument sein eigen nennen
konnte. Erst am 22. Mai 1776 genehmigte die Stadtverwaltung von
Lausanne einen Vertrag mit Samson Scherrer, einem Orgelbauer aus
dem Toggenburg, an den man sich bereits für den Bau einer
Orgel für die Kathedrale gewandt hatte.
Die Arbeiten begannen
am 10. Juli 1776 und endeten am 17. Juni 1777. Der Hauptprospekt
und das Gehäuse des Rückpositivs mit ihren Pfeifen stammen
aus dieser Zeit. Der den Stil Ludwig XVI. aufweisende Prospekt
ist heute ein großartiges und für die Romanische Schweiz
einzigartiges Beispiel für die Sorgfalt, die man dem dekorativen
Erscheinungsbild des Instruments zuteil werden ließ. Die
Verzierungen stammen von Bildhauer François Gessner sowie
dem Vergolder Jean-Samuel Bolomey. Auch wenn die ursprüngliche
Disposition nicht mehr bekannt ist, weiß man doch, daß
das damalige Instrument über 22 Register auf zwei Manualen
und Pedal verfügte.
Die Qualität der
Orgel muß sehr gut gewesen sein, da mit Ausnahme von zwei
kleineren Reparaturen 1781 und 1814 erst 1866 weitere, von Titularorganist
Charles Blanchet initiierte Arbeiten ausgeführt wurden. Blanchet
schlug eine Erneuerung unter teilweiser Beibehaltung alten Materials,
eine Erweiterung der Disposition sowie die Hinzufügung einer
dritten Manualklaviatur vor, mit deren Ausführung die Firma
Walcker aus Ludwigsburg betraut wurde. Aus dieser Zeit stammen
die seitlichen Teile des Orgelgehäuses.
Trotz ihrer Qualitäten
erwies sich diese Orgel im Gebrauch in ihrer Registerzahl als
unzureichend. 1880 entwarf Charles Blanchet das großzügige
Projekt, auf seine Kosten die dritte Manualklaviatur mit dreizehn
neuen romantischen Stimmen versehen zu lassen. Das neue Instrument
mit 49 Registern wurde am 1. November 1880 geweiht. Aus dem Bericht
des Magistrats für dieses Jahr wissen wir, daß Charles
Blanchet auf seine Kosten auch das Orgelgehäuse restaurieren
ließ.
Mit der Elektrifizierung
des Gebläses 1906 ging die Orgel bis heute in die Betreuung
der Firma Kuhn in Männedorf über, wobei auf Wunsch von
Blanchets Nachfolger, Alexandre Denéréaz, auch Pedalregister
erneuert wurden. Bei einer Wiederherstellung 1936 wurden die Traktur
elektrifiziert und die Registerzahl auf 56 erhöht. Das Material
von Walcker wurde instandgesetzt oder eingelagert, wobei der Stil
des Instruments weitgehend unverändert, das heißt romantisch
blieb. Erst 1949 orientierte sich der Orgelbau wieder zunehmend
an der Klassik.
1955 ließ Georges
Cramer drei Pedalregister sowie eine vierte Manualklaviatur mit
elf Stimmen ergänzen, deren Pfeifen in der Höhe aufgestellt
wurden. Nach der Restaurierung des Kircheninnenraumes 1967 nützte
er die Überholung der Orgel für weitere Änderungen.
1975 schlug der neue Titular, Jean-François Vaucher, anläßlich
der Zweihundertjahrfeier der Orgel vor, die große Mixtur
des ersten Manuals und den hochgebänkten großen Cornet,
die 1920 beseitigt worden waren, wiederherzustellen.
Kurz vor den großen
Restaurierungsarbeiten an Saint-François, Anfang 1990,
war die elektrische Traktur der Orgel verbraucht. Die Bauarbeiten
an der Kirche waren so bedeutend, daß die vollständige
Demontage der Orgel unvermeidlich war. Für den Wiederaufbau
stellte sich erneut die Frage nach der stilistischen Ausrichtung
der Disposition: Wiederherstellung der Orgel des 18. Jahrhunderts,
wie dies im Bericht der für die Kirchenrestaurierung zuständigen
Kommission vom 15. März 1989 erwähnt ist, - oder die
fünfzehn Jahre zwischen Jean-François Vaucher und
der Firma Kuhn reflektierte Beibehaltung des gewachsenen Zustands
mit alten Elementen (Prospektpfeifen von Hauptwerk und Rückpositiv),
den romantischen Teilen von Walcker sowie den Registern jüngeren
Datums?
Mit Zustimmung des Magistrats
- dem Besitzer des Instruments - sowie des eidgenössischen
Experten, Rudolf Bruhin, wurde die letztgenannte Lösung für
gut befunden. Es wäre tatsächlich unglücklich gewesen,
auf die großartigen Möglichkeiten dieses Instruments
zugunsten einer vollständig klassischen, naturgemäß
jedoch beschränkten Konzeption zu verzichten.
In Zusammenarbeit mit
Kuhn erhielt die Orgel ihre mechanische Traktur zurück. Die
Registerzahl blieb mit jener aus der Zeit vor der Restaurierung
identisch, doch wurden die Register nicht mehr auf vier, sondern
auf fünf Manuale und Pedal verteilt. Die erschwerte Spielbarkeit
der aneinander gekoppelten Klaviaturen wurden durch eine nach
dem Original gebaute Barkermaschine kompensiert und das seit 1865
stumme Rückpositivgehäuse zu neuem Leben erweckt. Auch
die Empore selbst erhielt wieder eine dem ursprünglichen
Zustand sehr nahe kommende Formgebung, die die Großartigkeit
dieser für die Schweiz weitgehend einzigartigen französisch-symphonischen
Orgel voll zur Geltung kommen läßt.