Edition Lade   -   EL CD 033       Trésor de l'Orgue français 12 


Jean-Pierre Leguay (*1939)

Oeuvres et Improvisation pour Orgue

 

Edition Lade - EL CD  033 - Jean-Pierre Leguay

Pascale Rouet & Jean-Pierre Leguay

Die Orgel

 

 

 


 

Pascale Rouet [ 1 - 7 ] & Jean-Pierre Leguay [ 8 ]
an der großen Orgel der Pfarrkirche Saint-François in Lausanne

Magazine Orgue

1 CD   -   DDD   -   Spielzeit: 78' 22
Booklet: deutsch / französisch / englisch   -   40 Seiten,    -   11 Abbildungen
€ 18,90

 

Am Beispiel der Madrigale und seiner Ersten Sonate bilden sich im Orgelschaffen von Jean-Pierre Leguay mit seinen fixen Bezugspunkten, seinen vergleichbaren Eigenschaften, aber auch seinem Mut zu Neuem die Konturen einer überaus persönlichen Poetik heraus, die in einer einzigartigen Dialektik zwischen Hand, Ohr, Vorstellungskraft und geistigem Umfeld des Komponisten Gestalt annimmt.

Auf durchaus subjektive Weise soll in der Folge eine Annäherung an diese Dialektik versucht werden.

Zunächst einmal: alles klingt. Die Erfahrungen des Komponisten als Interpret fließen in seine Musik ein, sie berücksichtigen die räumlichen Besonderheiten des Instruments. Das wirkt sich auf die Formgebung der Werke von Jean-Pierre Leguay aus. Form ist bei ihm nicht Rückgriff auf vorhandene Modelle, sondern sie wird erst am Zielpunkt einer Entwicklung begriffen, im Verlaufe derer in subtiler Schattierung die Kontraste und deutlich gewordenen Strukturen aneinandergereiht werden, gemäß einer Poetik, die sich zugleich hedonistisch wie spekulativ darstellt, die sich dem Genuß am Geschriebenen wie am Gehörten öffnet, ohne je der Unklarheit anheimzufallen. Nichts ist zufällig, alles ist wohl abgewogen.

Wenden wir uns kurz der musikalischen Sprache Leguays zu. Sie ist frei atonal, bei Bevorzugung wenig oder nicht oktavenorientierter Intervalle und läßt unter anderem Einflüsse der Zweiten Wiener Schule (besonders Weberns), der radikalen Stilperiode Messiaens der Fünfzigerjahre und Varèses erkennen. Obzwar auch bei Leguay, wie bei den Genannten, die Trennung von vertikalem und horizontalem Denken aufgehoben scheint (ein Akkord kann als zusammengezogene Linie, eine Linie als aufgerollter Akkord verstanden werden), übernimmt er nicht deren Syntax, sondern schafft eine eigene, in der ein spezifisches Verhältnis zwischen Klang und Zeit entsteht.

Chromatik tritt in verschiedener Gestalt auf: Zunächst als einfacher Cluster, mit dem bestimmte Abschnitte beschlossen werden, indem ein harmonisch undifferenzierter Bereich geschaffen wird, durch den das Stück von einem in den nächsten Bereich getragen wird (siehe den Schluß des zweiten Abschnittes von Madrigal II); oder aber, indem er durch die Dichte seines Materials die vorangegangenen harmonischen Strukturen auflöst und so den Schluß eines Werkes hervorruft (Ende der Ersten Sonate). Cluster finden sich auch in dichten und perkussiven Abschnitten, in denen die Geste zum Material selbst wird, im Sinne jubelnden Um-Sich-Schlagens, das umso wirkungsvoller ist, als Leguay es ganz präzise bezeichnet (siehe den dritten Abschnitt von Madrigal II). Gleichwohl bleibt der Cluster ein marginales Element, das nur an besonderen Punkten eines Werkes Anwendung findet, zumal Leguay differenziertere Klänge bevorzugt.

Die Zuordnung der konsonanten und dissonanten Klänge im Klangganzen, ihre Räumlichkeit, die internen Spannungen und Entspannungen, die sich aus ihr ergeben, indem ihre konstitutiven Elemente durch sie verdunkelt oder aber ans Licht gebracht werden - all dies ist, wie etwa in Varèses Hyperprism oder Intégrales, aufs sorgfältigste ausgewählt. Bisweilen wird ein Akkord zur Klangfarbe (Madrigal II, erster Abschnitt) - ein Phänomen, das Leguays Klangsinn in besonderem Maße entspricht. Sein Ohr erkundet diese Bereiche des Überganges, wie sie der Klanggeographie der Orgel eigen sind, mutig und schöpferisch zugleich, bis in die verborgensten Winkel. Hier ist der Ursprung für den Gebrauch bestimmter Klangfarbenkombinationen zu finden, der sich auf Obertöne ohne ihren Grundton beschränkt und der, je nach Lage der Klänge, den Hörer in einen hohen Frequenzbereich führt, der vor Leguay wenig genutzt worden war; oder die Klänge treten im mittleren, respektive tiefen Bereich auf, die Harmonien um Mikrointervalle bereichert, die aus der Erweiterung und Nuancierung von Stimmungsphänomenen resultieren (siehe Madrigal V, vorletzter Abschnitt). Derselbe Wille zur Wandlungsfähigkeit kennzeichnet auch die Gestaltung des musikalischen Zeitablaufes, in Hinblick auf die übergeordnete Form wie auf den Rhythmus.

Die Form erweist sich stets als unvorhersehbar, klar gegliedert und reiht kontrastierende Abschnitte aneinander, in denen eine übersehbare Anzahl von Elementen variiert wird. Das Gleichgewicht und die Zielgerichtetheit des Ganzen wird durch begrenzte Momente des Ungleichgewichtes gegliedert, mittels derer Brüche den Verlauf des Werkes in andere Regionen versetzen und so Bewegung erzeugen.

Das Metrum ist fluktuierend, sehr plastisch und die diversen Gestaltungen, die sich in ihm entwickeln, verweisen auf eine zentrale Charakteristik im schöpferischen Prozeß bei Leguay: die Wiederholung. Diese wird zum Parameter, ebenso wie Harmonie, Dauer, Klangfarbe, Linie oder Masse, und auch sie ist bewußt geformt. So entsteht eine reiche Differenzierung, die von einer leicht wahrnehmbaren Periodizität (oder Pulsation) bis zur aufgehobenen Zeit (um eine Formulierung von Boulez zu zitieren) in raschem Passagenwerk oder harmonischen Strömen reicht.

Ohne Problem lassen sich diese Erkenntnisse über das Element der Wiederholung auf die höhere Ebene der Struktur übertragen, wo es Leguay um den Verlauf von Bewegungseigenschaften geht: So erweist sich die Spanne zwischen den Musiken, mit denen der Komponist die beiden Sätze seiner Ersten Sonate beginnt, als besonders aufschlußreich.

Die Gestaltung der Bewegungseigenschaften bestimmt viele Strukturen: So erscheinen die Elemente eines Akkordes in immer neuer Gestalt und Abfolge, wie bei einem Mobile von Caldar; auch können sie auf ihr Umfeld einwirken und sich dergestalt ausbreiten, wobei auch hier Brüche stets möglich bleiben. Diese Vorgänge sind schon deshalb gut nachvollziehbar, als die Werke Leguays oft ihren Ursprung in harmonischen, rhythmischen oder melodischen Keimzellen haben, vergleichbar klar erkennbaren, klingenden DNA-Molekülen.

Dennoch gibt es freilich ’Mehr Ding im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumt, Horatio’. So wird klar, daß für Leguay, in Umkehrung des Wortes von Rimbaud, der Dichter vermittels einer klaren Ordnung all seiner Sinne sehend wird, daß, will man einen wirksamen Rausch erzeugen, ihn in feste Bahnen lenken muß und Askese wie Schlemmerei am besten von der ’Poetik der Genauigkeit’ getragen werden.

Alain Mabit (Auszug aus dem CD-Booklet)

 


P r o g r a m m

 
Jean-Pierre Leguay (*1939)

1-2
Sonate I pour orgue (1973/7419' 37

- Première mouvement 
8' 48
- Deuxième mouvement  10' 43

3-7
Intégrale des Madrigals pour orgue

Madrigal II (1979)
8' 24

Madrigal III (1982)
13' 41

Madrigal V (1983)
10' 54

Madrigal VII (1985)
8' 01

Madrigal IX (1987) 
8' 20

08
Improvisation
8' 05


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