Die Cavaillé-Coll-Orgel der Basilika
Saint-Sernin in Toulouse
Die
Basilika Saint-Sernin ist wohl das bekannteste und bedeutendste
Baudenkmal von Toulouse. Sernin oder lateinisch Saturninus war
ein römischer Missionar, der in der ersten Hälfte des
dritten Jahrhunderts in Toulouse und Umgebung wirkte und erster
Bischof der christlichen Gemeinde wurde. Nach seinem Märtyrertod
um 250 errichtete man im späten vierten Jahrhundert über
seinem Grab eine Abtei, die bald zu einer bedeutenden Station
auf dem Weg der Pilger nach Santiago de Compostela werden sollte.
Aus dieser Tatsache erklärt sich sicherlich auch die monumentale
Größe des heutigen Bauwerks mit einer Länge von
115 m, einer Gesamtbreite von 64 m und einem 65 m hohen Vierungsturm.
Somit ist die Basilika Saint-Sernin, deren Bau um 1080 begann,
die größte romanische Kirche in Frankreich und im ganzen
Abendland. Die Gebeine des heilig gesprochenen Saturninus befinden
sich heute in der Mitte der Apsis in einem monumentalen Grab des
18. Jahrhunderts.
Über die ersten Orgeln
der Basilika Saint-Sernin sind wir nicht unterrichtet. Wir wissen
nur, dass im Jahre 1668 die Holzreste eines Instruments vermutlich
verheizt wurden. Dabei handelte es sich wahrscheinlich um eine
alte Schwalbennestorgel, da man 1672 die Empore über dem
Westportal als neuen Standort für eine Orgel wählte.
Den Auftrag für den Orgelbau erhielt Robert de Launoy (auch
Delaunoy), dessen neues Werk mit 44 Registern auf 4 Manualen und
Pedal 1678 kollaudiert wurde. Das bis heute erhaltene herrliche
Orgelgehäuse mit reichem Schnitzwerk schufen Pierre Legoust,
Pierre Albès und ein Tischler aus Dinard. Dieses Instrument
versah mehr als 150 Jahre mehrfach repariert, aber unverändert
seinen Dienst, bevor es unspielbar und seine Erneuerung erforderlich
wurde. Unter den eingereichten Kostenvoranschlägen befand
sich 1843 auch ein Anbot von Dominique und Aristide Cavaillé-Coll
mit 34 Registern auf 3 Manualen und Pedal. Mit den notwendigen
Arbeiten betraute man jedoch die Firma Daublaine & Callinet,
die den Umbau der Orgel auf 41 Registern auf 3 Manualen und Pedal
1845 beendete. Zur festlichen Wiedereinweihung spielte der damalige
Modeorganist Frankreichs, Louis-James-Alfred Lefébure-Wély.
Im letzten Drittel des
19. Jahrhunderts nahm man umfangreiche Restaurierungsarbeiten
an der Basilika Saint-Sernin vor. Abschließend sollte auch
die Orgel modernisiert werden. 1887 legte auch Aristide Cavaillé-Coll
einen Kostenvoranschlag für ein neues Instrument unter Beibehaltung
der Gehäuse und teilweise des alten Pfeifenwerks vor, der
diesmal angenommen wurde. So entstand in zwei Jahren unter der
Aufsicht des nun schon betagten Meisters eines seiner späten
Meisterwerke mit drei Manualen, Pedal und 54 Registern (darunter
zwei horizontale Zungenstimmen). Die Intonation besorgte Félix
Reinburg, die Weihe am 3. April 1889 spielte Félix-Alexandre
Guilmant und der Titular Omer Guiraud.
Im Vergleich zu Aristide
Cavaillé-Colls berühmten großen Instrumenten
in Paris und in der Normandie (Paris, Saint-Sulpice 1862, V/100,
Notre-Dame 1868, V/86, Rouen, Saint Ouen 1890, IV/64) erhielt
die Orgel von Saint-Sernin in Toulouse nur verhältnismäßig
wenige Register, doch steht dieses heute längst legendäre
Instrument in Noblesse und Schönheit des Klanges sowie mit
seiner imposanten Kraft des Tuttis den oben genannten Großorgeln
in nichts nach. Bis auf geringfügige Änderungen durch
Maurice Puget im Jahre 1936 blieb die Cavaillé-Coll-Orgel
von Saint-Sernin glücklicherweise original erhalten. Nach
einer umfassenden Restaurierung Mitte der 1990-er Jahre durch
die Firmen Boisseau und Cattiaux befindet sich das Instrument
weitgehend im Originalzustand von 1889 und erfreut seine Zuhörer
mit seinem unvergleichlich wunderbarem Klang.