Anton Bruckners Reputation als Organist ist heute nur schwer nachvollziehbar.
Sein Wirken als Stiftsorganist von St. Florian, als Organist des Alten
Domes zu Linz und der Wiener Hofburgkapelle stärkten seinen Ruf
als außergewöhnlicher Musiker und Improvisator - einige vage,
wenn auch begeisterte Beschreibungen seines Spiels lassen jedoch nur
annähernde Vermutungen über seine an der Orgel entstandenen
musikalischen Äußerungen zu. Der Anteil der niedergeschriebenen
Originalkompositionen nimmt dabei eine vernachläßigbare Größe
ein. Neben kleineren Präludien und Fugen aus seiner Studienzeit
verrät höchstens das kurze, 1884 entstandene Perger Präludium
ideenhaft den Bruckner'schen Orgelstil, wenngleich auch dieses seinen
berühmten Improvisationen kaum zur Seite gestellt werden kann.
Geistige Tiefe, gepaart mit einer der Liszt'schen Klaviertechnik entlehnten
Virtuosität, mögen seinen Personalstil geprägt haben.
Ein Ohrenzeugenbericht
über Bruckners Auftreten in London vermittelt Außergewöhnliches:
»Wenn er als Orgelpunkt seinen berühmten Pedaltriller
in unersättlicher Ausdauer ertönen ließ, oder ein Thema
in Pleno mit Vibratoakkorden in der linken Hand begleitend durchführte,
vermochten die Bälgetreter den nötigen Wind kaum mehr aufzubringen
...«. Seine Zuhörer rühmten auch immer wieder seine
phänomenale Pedaltechnik. So nimmt es auch nicht wunder, daß
Bruckner in Frankreich - einem Land, in dem die Orgelkunst sowohl im
Orgelbau als auch im Orgelspiel in hoher Blüte stand - großartige
Erfolge verbuchen konnte. Der Stil der französischen Orgeln des
19. Jahrhunderts mit ihrer Ausgewogenheit an klanglichen Mitteln, ihrer
symphonisch-orchestral gefärbten Tongebung mag für Bruckners
Klangvorstellungen ideal entsprochen haben, die technische Weiterentwicklung
gegenüber der Barockorgel ließ ihm virtuose Freiräume,
die auszuleben ihm der Standard des österreichischen Orgelbaus
kaum gestattete. Bruckner äußerte sich darüber in einem
Brief an Rudolf Weinwurm vom 8. März 1868: »Mein Herz
ist aber leider nur für größere Orgeln angepaßt.
Bei kleinen Orgeln geht der ganze Effekt flöten, und wird sogar
oft lächerlich ...«
Seine Improvisationen
schöpften ihr thematisches Material fast immer aus eigenen Werken,
oftmals kombiniert mit Themen Richard Wagners. Über ein Konzert
in Steyr am 17. Dezember 1891 wird berichtet: »Er begann mit
Themen aus seiner VII. Symphonie in zarter Registrierung ging dann in
Pleno zum Gralsthema aus Parsifal über und beschloß das grandiose
Spiel mit einem Choral aus seiner eben erst in Konzeption begriffenen
IX. Symphonie«.
Die klangliche Wechselbeziehung
Orgel/Orchester innerhalb seiner Symphonien wurde schon mancherorts
eingehend erläutert und analysiert. Das blockhafte Absetzen der
einzelnen Instrumentengruppen etwa als Wechsel von einem Manual zum
anderen, die terrassenhafte Dynamik als das Zu- und Abstoßen einzelner
Register oder Registerfamilien. Diese eigenwillige Behandlung des Orchesterapparates
mag bei Bruckner wohl kaum Ausdruck mangelnder Kenntnis des Orchestrierens
gewesen sein (von Jugend an bemühte er sich in akribischer Genauigkeit
um das Verständnis der Instrumente und ihrer Behandlung), sondern
der bewußte Versuch, die modulationsfähige Expressivität
des romantischen Orchesters zu erweitern beziehungsweise zu überwinden.
Seine zahllosen Um- und Bearbeitungen eigener Werke zielen auch immer
auf diese neue Klanglichkeit hin. Einer weiteren, fast noch wesentlicheren
Wechselbeziehung kann auf formal-architektonischer Ebene nachgespürt
werden. Die eruptive Vielschichtigkeit, die Präsentation verschiedenster
Themengruppen und das fast rhapsodische Aufbäumen und Abklingen
des musikalischen Flusses gemahnen an den Improvisator Bruckner. Wenn
zu Beginn des Finales der IV. Symphonie die Bässe mit einem ostinaten
Pizzicato-Ton anheben, zwei Takte später die Streicher mit einer
Umspielungsfigur Atmosphäre schaffen, eine Klangfläche
legen, in der das Hauptthema des Solohorns eingebettet liegt, so denkt
man unweigerlich an den Beginn einer Improvisation.
Die Orgel war für
Bruckner sicher kein Orchesterersatz, trotzdem dürfte sie ihm zur
Orchestrierung seiner Symphonien wesentliche Anreicherungen gegeben
haben. Als wichtiges Entwicklungsstadium zwischen Particell und der
Partitur hat Bruckner die Orgel zur Verdeutlichung seiner Instrumentierung
immer wieder herangezogen.
Die Orgelfassung
einer gesamten Symphonie kann das Original natürlich nicht ersetzen.
Im klanglichen Resultat kommt es für uns heutige Hörer dem
Erlebnis Bruckner auf der Orgel wahrscheinlich am nächsten.
Äußerste Virtuosität, souveräne Handhabung der
Pedalstimme und des gewaltigen Registrierapparates stellen an den Interpreten
hohe Anforderungen, die durch das klangliche Ergebnis jedoch reich belohnt
werden. Versucht man als Hörer nicht so sehr den Vergleich mit
der Orchesterfassung zu suchen, sondern die Art der Handhabung der Orgel
an sich zu verfolgen, beeindruckt die Einzigartigkeit des Orgelstils,
der weder mit den großen Werken Franz Liszts noch mit den Orgelsymphonien
der französischen Schule verglichen werden kann. Meine Bearbeitung
sucht deshalb in der Symbiose deutscher und französischer Registrierkunst
den Bruckner'schen Absonder lichkeiten nachzuspüren. Manche dynamischen
Übergänge wirken auf der Orgel kompromißloser, gewaltsamer
als in der Orchesterfassung, unterstreichen dadurch aber vielleicht
noch stärker das zyklopenhafte Wesen insbesondere der Forte-Stellen.
Überraschend wirkte die Tatsache, daß manche Tonumfänge
der Themen genau auf den Umfang der Tastaturen des Pedals oder der Klaviaturen
der Orgel anpaßbar sind (zum Beispiel am Beginn des zweiten Satzes)
- ein vielleicht nicht ganz zu unterschätzender Zufall?
Bei der Suche nach
einem geeigneten Instrument zur Einspielung von Bruckners vierter Symphonie
fiel die Wahl auf eine Orgel französisch-symphonischen Typs.
Die 1846 von Aristide Cavailld-Coll erbaute Orgel der Pariser Pfarrkirche
La Madeleine zeichnet sich dank ihres Reichtums an vielfarbigen Grundstimmen
und imposanten Zungenregistern besonders zur Darstellung orchestraler
Effekte aus.