Als stilistisch grenzgängerisch 
          - zugleich zukunftsweisend wie reaktionär - begegnet uns die Orgelmusik 
          Alexandre-Pierre-François Boëlys: Fernab des seichten Zeitgeschmacks 
          der nachrevolutionären Epoche offenbart sich in seinen Werken eine 
          eigenwillige Symbiose aus den tradierten Formen des Grand Siècle, 
          aus einem nahezu scholastisch anmutenden Hang zu Polyphonie und komplexer 
          Kontrapunktik, aus Einflüssen der Wiener Klassik wie auch aus den 
          pianistisch inspirierten Charakterstücken der Frühromantik.
        Boëlys kompositorisches Schaffen 
          der ersten beiden Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts beinhaltete neben 
          pädagogisch orientierten Klavierstücken hauptsächlich 
          Kammermusik, die Orgel rückte erst in den Dreißigerjahren 
          immer mehr in den Vordergrund, als er die Möglichkeit erhielt, 
          als Aushilfsorganist von Saint-Gervais in Paris zumindest in gewisser 
          Regelmäßigkeit das Instrument, an dem während mehrerer 
          Generationen die Couperins wirkten, zu spielen. Hier entstanden erste 
          liturgisch konzipierte Orgelstücke. Ihre Formstruktur als Versettenkompositionen 
          entsprach noch ganz der überlieferten Aufführungspraxis, doch 
          auch in Registrierung und in der Reihung von Plein Jeux, Duos, Trios, 
          Récits, Tailles, Dialogues und Grand Jeux folgte der Komponist 
          noch der Tradition der Livres d’Orgue, die schon mehrere Jahrzehnte 
          ausgestorben schien. Vom Zeitgeschmack weitgehend unbeeindruckt, ließ 
          er sich nur in seiner Fantasia pour le Judex crederis au Te Deum (opus 
          38/4) zu offensichtlicher Lautmalerei hinreißen, zu einer beinahe 
          schon ironisch anmutenden Kopie der von Pastoralidyllen und Gewitterdarstellungen 
          strotzenden Improvisationen seiner Organistenkollegen Armand-Louis Couperin 
          oder Guillaume Lasceux. In Kennerkreisen wurde Boëlys Spiel gerühmt, 
          sein Einsatz für das Œuvre Bachs sogar mit dem Wirken Mendelssohns 
          verglichen, den er mit größter Wahrscheinlichkeit während 
          dessen Parisaufenthalt 1831 kennengelernt hatte. 
        Die Registrierungen der vorliegenden 
          Einspielung orientieren sich am Klangfundus der orgue classique der 
          zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Der Zungenreichtum der berühmten 
          Isnard-Orgel in Saint-Maximin erlaubte es, verschiedene Grand Jeux-Registrierungen 
          einander gegenüberzustellen. Die ungleichschwebende Temperatur 
          dieses Instruments (Stimmungssysteme dieser Art waren in der ersten 
          Hälfte des 19. Jahrhunderts noch weit verbreitet) verleihen dieser 
          formal schlichten, wenngleich ideenreichen Musik darüberhinaus 
          einen besonderen Reiz.