Edition Lade   -   EL CD 015      Trésor de l'Orgue français 7 


Pierre Pincemaille: Improvisations

Improvisationen

 

Edition Lade - EL CD 015

Pierre Pincemaille

Die Orgel

 

 

 

 


 

Pierre Pincemaille
aux grandes orgues Cavaillé-Coll de la Cathédrale de Saint-Denis

1 CD  -  DDD  -  Spielzeit: 71' 05
Booklet: deutsch-französisch-englisch, 40 Seiten, 11 Abbildungen
€ 18,90

 

Die Kunst des Improvisierens besteht aus einer einzigen Frage: Auf welche Art und Weise kann ein frei gewähltes oder vorgegebenes Thema verarbeitet werden? Diese Frage zieht sogleich eine zweite nach sich: Warum ist man beim Hören einer Improvisation allzu oft dazu verurteilt, das (recht und schlecht harmonisierte) Thema einmal zu Beginn sowie ein zweites Mal gegen Ende der Improvisation nach dem Motto: »Seht! Ich habe Euer Thema verwendet ...« zu hören. Dazwischen jedoch ist nichts ... außer mühsamem Blabla, das beim Publikum eine tiefe, unbewußte Langeweile hervorruft. Man muß deshalb imstande sein, bei der Entwicklung eines Themas aus allen verfügbaren Ressourcen Nutzen zu ziehen und diese melodische Linienführung oder jene rhythmische Gliederung wählen. Das erfordert natürlich eine Meisterschaft in der Beherrschung der musikalischen Form, eine vollendete Registrierkunst durch das Wissen um die Möglichkeiten des Instruments (mit vollständiger Ausschöpfung seines gesamten Klangspektrums) sowie nicht zuletzt eine überaus reiche Erfahrung im kompositorischen Bereich, das heißt in Harmonielehre, Kontrapunkt und Fugentechnik. Ein Improvisator erreicht das höchste Können erst dann, wenn er fähig ist, ein Werk auf den Tasten so wohlorganisiert wie auf dem Papier zu verwirklichen. Natürlich muß er auch fähig sein, zu komponieren ...

Die Noëls variés erfreuten sich von Louis-Claude Daquin über Marcel Dupré bis heute größter Beliebtheit. Es war deshalb mein Wunsch, eine solche Noëlbearbeitung einzuspielen. Ich habe aber versucht, aus der gewohnten Form auszubrechen und sie mit einem Präludium versehen, das bereits die symphonische Verarbeitung des Themas deutlich macht. Daran anschließend habe ich die übliche Harmonisierung des Themas durch ein großes Ricercar ersetzt, eine Form, in der die einzelnen Verszeilen fugiert verarbeitet werden. Der jeweils letzte Themeneinsatz zitiert dabei in langen Notenwerten sowie in einer anderen Registrierung den Cantus firmus. Es folgen dann die eigentlichen Variationen.

Als die große Orgel der Kathedrale Saint-Denis 1987 - nach mehr als fünfundzwanzigjährigem Schweigen sowie ihrer 1983 begonnenen Restaurierung - wieder spielbar war, äußerte der Erzpriester der Kathedrale, der auch für meine Ernennung im November dieses Jahres verantwortlich war, den Wunsch, den Wert des Instruments während des sonntäglichen Hauptamtes zur Geltung zu bringen. Ich habe deshalb das Glück, fünfmal während der Messe spielen zu dürfen. Die vorliegende Aufnahme einer Grand-Messe zeichnet somit das gottesdienstliche Geschehen nach, dem jeder Besucher am Sonntag in der Kathedrale von Saint-Denis beiwohnen kann.

Thema der Dix Versets de Vêpres ist »Ad regias Agni dapes«, die Hymne der Osterzeit, die in den Vespern vom ersten Sonntag nach Ostern bis zum Sonntag vor Christi Himmelfahrt gesungen wird (Zum königlichen Festmahl des Lammes wollen wir in unseren weißen Kleidern Christus, unseren Herrn, preisen).

Bei der Improvisation »De Pierre à Pierre ...« handelt es sich um eine Hommage von Pierre Pincemaille an Pierre Cochereau, einem Genie der Improvisationskunst, der auf diesem Gebiet die zweite Hälfte unseres Jahrhunderts grundlegend geprägt hat. Ich war während der letzten zwölf Jahre seines Lebens von 1972 bis 1984 ein regelmäßiger Besucher nicht nur seiner Konzerte, sondern auch der Meßfeiern in Notre-Dame und stand deshalb zwangsläufig unter dem Einfluß des Gehörten. In diesem Zusammenhang sei bemerkt, daß das regelmäßige Hören eines Vorbilds unendlich wirksamer als jede beliebige Unterweisung ist: Die Improvisation, eine von Natur aus angeborene Begabung, ist eine Kunst, die sich nicht unterrichten läßt. Man kann aber an ihr arbeiten und sie mit zunehmender Erfahrung verfeinern. Ich möchte deshalb alle mit der Art Cochereaus vertrauten Hörer der vorliegenden Einspielung bitten, nicht nur eine mögliche Kopie ihres Idols, sondern auch das ehrliche, persönliche und kreative Credo des Interpreten wahrzunehmen ...

Im Verlauf dieser Improvisation wird das Anfangsthema (die Noten, die den Buchstaben seines Namens entsprechen) zunehmend von der Melodie eines wohlbekannten Chorals überlagert. Der Grund dafür hat Symbolwert und wird den Kennern von Pierre Cochereau offensichtlich sein. Monseigneur Emile Berrar, 1967 zum Erzpriester von Notre-Dame ernannt, war zur grossen Freude von Pierre Cochereau der Initiator der Orgelkonzerte, die jeden Sonntag vor der Abendmesse stattfanden. Als Berrar im Juni 1983 in Ruhestand trat, wurde Jaques Perrier, der heutige Bischof von Chartres, sein Nachfolger. Jaques Perrier hatte im darauffolgenden Jahr die Idee, eine öffentliche Lesung des gesamten Matthäus-Evangeliums zu veranstalten, um den Zeitraum von fünfundzwanzig Minuten zwischen der Vesper (die um 17 h zu Ende war) und dem Orgelkonzert zu füllen. Perrier bat nun Pierre Cochereau, die einzelnen Lesungen, die zwischen dem 5. Februar und dem 4. März an fünf Sonntagen stattfanden, musikalisch zu kommentieren und so wurden sie mit insgesamt fünfundzwanzig magischen Improvisationen des Meisters umrahmt. Für die letzte Improvisation am 4. März 1984 hatte Pierre Cochereau eine besondere Idee, indem er den berühmten, in Johann Sebastian Bachs Matthäus-Passion zyklisch verarbeiteten Choral zum Thema nahm (jenen Choral, der auch in meiner Hommage erklingt). Cochereau gab sich aber nicht nur mit der Wahl dieses Themas zufrieden, sondern setzte dem Ende der Lesungen einen markanten Schlußpunkt, indem er den Choral im Generaltutti seines Instruments in Bachs Harmonisierung spielte und noch dazu von einem Blechbläserensemble begleiten ließ, das er heimlich verpflichtet hatte. Niemand wußte zu diesem Zeitpunkt (auch er nicht ? ... ), daß er mit der Musik des Leipziger Kantors Abschied von seiner Orgel in Notre-Dame nahm. Er wurde in der Nacht von Montag auf Dienstag (5./6. März 1984) zu Gott gerufen ...

Pierre Pincemaille im Gespräch mit Günter Lade (gekürzte Fassung des Booklet-Textes, © Günter Lade)

 


P r o g r a m m

 

Pierre Pincemaille (*1956)
Improvisationen

1-4
Prélude, Ricercar et Noël varié
  26' 09

Thème  0' 35
Prélude  3' 17
Ricercar  4' 15
Variations  18 02

5-9
Grande Messe   19' 19

Entrée  4' 44
Offertoire  2' 15
Elévation  2' 22
Communion  5' 29
Sortie  4' 17

10-20
Dix Versets de Vêpres  15' 38

       Thème  0' 24
  1°  Verset
  2' 16
  2°  Verset
  1' 21
  3°  Verset
  1' 28
  4°  Verset
  1' 28
  5°  Verset
  1' 40
  6°  Verset
  1' 02
  7°  Verset
  1' 40
  8°  Verset
  1' 04
  9°  Verset
  1' 50
10°  Verset
  1' 23

21
»De Pierre à Pierre« - Hommage à Pierre Cochereau
8' 59

 

 


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