Siegfried
Theodor Karg, der sich später Karg-Elert nannte, wurde 1877 in
Oberndorf am Neckar geboren. Nach erstem Unterricht bei Kantor Röthig
der Johanneskirche in Leipzig war er zunächst als wandernder Unterhaltungsmusiker
tätig, bevor er am Leipziger Konservatorium 1897 bis 1902 u.a.
bei Carl Reinecke Musiktheorie, Komposition und Klavier studierte. Nach
seiner Berufung 1902 als Professor für Klavier nach Magdeburg kehrte
Karg-Elert 1907 nach Leipzig zurück, wo er nun selbst Musiktheorie,
Komposition und Klavier unterrichtete und 1919 am Konservatorium dem
drei Jahre zuvor verstorbenen Max Reger als Professor für Komposition
und Theorie nachfolgte.
Als erste
eigenständige Orgelkomposition schrieb er in den Jahren 1908/09
»66 Choral-Improvisationen über evangelische Kirchenlieder«
(op. 65). Die in sechs Einzelheften in der Abfolge des evangelischen
Kirchenjahrs publizierten Stücke sind Félix-Alexandre Guilmant
gewidmet, der sich mit den Worten »[...] hier findet man Wohlklang,
ausgezeichnete kompositorische Handschrift und Gefühl für
Poesie wie selten in der Orgelmusik« für die Widmung
bedankte.
Karg-Elert
wandte in seinem op. 65 die verschiedensten Techniken der Bearbeitung
an, vom schlichten Orgelchoral über Kanon, Fuge, Trio sowie Kolorierung
des Cantus firmus bis hin zur virtuosen Toccata. Dass er ein großer
Verehrer von barocken Formen und besonders von Johann Sebastian Bach
war, lässt sich dabei unschwer erkennen. Großen Wert legte
er auf eine genaue Auslegung der Choraltexte (die er meist über
den Meldodienoten abdrucken ließ) und gab auch hinsichtlich Registrierung
und Spielweise präzise Interpretationsangaben in oft unkonventionellen
Bezeichnungen wie beispielsweise fastoso, lugubre,
slentando oder ponderoso an.
»Karg-Elert
hat mit seinem Op. 65 Choralimprovisationen der Orgelliteratur ein durchaus
modernes Standardwerk geschenkt, das jeder Orgelspieler, der sich nicht
dem Vorwurf der Rückständigkeit aussetzen will, genau kennen
und beherrschen muß. Was sein Werk besonders auszeichnet ist die
hervorragende Kraft der Harmonik und der Farbe. Vor der Bedeutung dieses
einer Schöpferseele entstammenden Meisterwerkes müssen viele
Hundert mühsam konstruierter Orgelstücke bescheiden zurücktreten.«
(Dr. Ernst Schnorr von Carolsfeld 1910 in der Zeitschrift Die
Musik, Jahrg. X, Heft 10)
Von den 66
Stücken aus Karg-Elerts Opus 65 hat Rudolf Berchtel für die
vorliegende CD jene 24 Choral-Improvisationen ausgewählt, die auch
im katholischen Gebet- und Gesangbuch Gotteslob enthalten sind
und sich mit Choralbearbeitungen zu Advent, Weihnachten, Fastenzeit,
Passion, Ostern, Pfingsten, Bitte und Vertrauen sowie Lob- und Dank
ausgewogen auf das Kirchenjahr verteilen.
Rudolf
Berchtel (Auszug aus dem CD-Booklet)
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