Die Berufung zur
Organistin an ein Benediktinerkloster mit langer Tradition und vielen
Aufgaben bedeutet einen besonderen Dienst: an der Gemeinschaft des Klosters,
an der dazugehörigen Gemeinde, an der Stadt. In der Benediktinerabtei
Unserer Lieben Frau zu den Schotten in Wien ist dieser Dienst nicht
nur mit vielen bewundernswerten Menschen verbunden, die Musik und Liturgie
sehr schätzen, sondern auch mit einem bemerkenswerten Instrument.
In den Jahren meiner bisherigen Tätigkeit im Schottenstift konnte
ich bei den Konzerten und hauptsächlich bei den liturgischen Feiern
die außerordentliche Persönlichkeit der Hauptorgel entdecken.
Mit ihrer Stimme erfüllt sie wie eine wahre Königin den heiligen
Raum der Basilika, als Widerschein der ihr gegenüber auf dem Hochaltar
thronenden Königin des Himmels, der diese CD-Aufnahme in Dankbarkeit
gewidmet ist.
Die »Fantasie
und Fuge über den Namen Bach« von Franz Liszt in der
Fassung meines Lehrers Jean Guillou eröffnet die Dramaturgie des
Programms. Sie vereint auf faszinierende Art und Weise die ursprüngliche
erste Orgelfassung (1855) mit der späteren Orgel- (1869/70) und
der letzten Klavierfassung (1870). Nicht nur durch Virtuosität,
sondern auch durch die tiefsinnige innere Struktur des Werkes und durch
die Verwendung der farbigen Vielfalt der Orgel lässt sie die Handschrift
Jean Guillous deutlich werden.
Robert Schumann
schrieb die »Studien für den Pedalflügel, Sechs
Stücke in canonischer Form« op. 56 im Jahre 1845 als
eine Art Übung im Kontrapunkt. Als ehrfürchtiger Bewunderer
Johann Sebastian Bachs fühlte sich Schumann der Orgel gegenüber
fast unwürdig: Keine Orgel kannte er wirklich gut, und ihr Klang
erschien ihm als eine altmodisch klingende, vergessene und unbekannte
Welt. Daher sind diese Stücke ursprünglich für den im
19. Jahrhundert so beliebten Pedalflügel bestimmt. Wie wunderbar
die verschiedenen Stimmen der Kanons bei der Interpretation auf der
Orgel zur Geltung kommen, kann man in der Übertragung der Partitur
für eine große Orgel von der Hand Jean Guillous erfahren.
Jeder Kanon ist für mich ein Dialog der zwei Stimmen: Immer neu
entwickelt sich ein charakteristisches Zwiegespräch - mit dem geliebten
Menschen, und dadurch mit Gott.
Kaum fünfzehn
Jahre später übertrug Alexander Wilhelm Gottschalg zum ersten
Mal die symphonische Dichtung »Orpheus« seines
Lehrers Franz Liszt (komponiert 1854) für Orgel. Guillous Fassung
des Orpheus lässt die orchestralen Farben der Hauptorgel der Schottenbasilika
in all ihrer Schönheit und Poesie erklingen. Die Innerlichkeit
dieses Werkes und die theologische Anspielung auf die Person Jesu Christi
als den neuen und ewigen Orpheus möge Bindeglied zur weiteren,
liturgischen CD-Dramaturgie sein.
Das Werk »Apparition
de l´Église éternelle« (Erscheinung der
ewigen Kirche) entstand im Jahre 1932, als der französische Komponist
Olivier Messiaen gerade vierundzwanzig Jahre alt war. Es ist eine der
beeindruckendsten Kompositionen der gesamten Orgelliteratur, die Vision
eines tief gläubigen Musikers. In Anlehnung an den Hymnus zum Kirchweihfest
präzisierte der Komponist: „Meißel und Hammer des
Leidens und der Prüfung behauen und glätten die Auserwählten,
die lebendigen Steine des spirituellen Gebäudes der Kirche, was
durch das unaufhörliche Pulsieren der Pedalstimme zum Ausdruck
gebracht wird. Die Vision ist sehr einfach, auf dem Höhepunkt beinahe
brutal. Sie baut sich ganz langsam auf und verschwindet wieder ebenso
langsam ...“
Psalm 4, ein Psalm
des Gerichts am Jerusalemer Tempel, wird in der benediktinischen Tradition
am Sonntagabend in der Komplet gebetet. In der Schottenabtei wird danach
das Allerheiligste, der eucharistische Leib des Herrn in der Gestalt
des konsekrierten Brotes, zur Anbetung ausgesetzt. Die Abt Johannes
Jung OSB gewidmete Komposition Ȇber uns, o Herr, erhebe
dein leuchtendes Antlitz!« aus dem Jahr 2008 gliedert sich
in die drei Hauptteile Introduktion, Adagio und Mysterioso.
Allegro energico und verbindet in diesem Zusammenhang drei Themen:
die Antiphon der Komplet Über uns, o Herr, erhebe dein leuchtendes
Antlitz!, den eucharistischen Hymnus Adoro Te devote des
Thomas von Aquin sowie den feierlichen Hymnus der Vigil Te Deum
laudamus.
»Regina
cœli« (1969) ist das letzte Stück von Marcel Dupré,
das er über ein gregorianisches Thema geschrieben hat. Es ist eine
mystische Meditation über die marianische Antiphon Regina cœli,
laetare, alleluia (Freu dich, du Himmelskönigin, Halleluja),
die im Stundengebet während der Osterzeit am Ende des Tages gesungen
wird. Durch ihren innerlichen, ja mystischen Charakter lässt sie
vielleicht eine Grundüberzeugung Duprés am Ende seines Lebens
verspüren.
Zuzana
Magdalena Maria Ferjencikova