Edition Lade   -   EL CD 027       Trésor de l'Orgue français 11 


L'Orgue historique de Carnac (Bretagne)
Johann Sebastian Bach und die französische Orgelmusik

 

Edition Lade - EL CD  027 - Orgel Carnac

Odile Pierre

Die Orgel

 

 

 

 

Odile Pierre
à l'orgue historique Grimont (1775) de l'église Saint-Cornély de Carnac

1 CD   -   DDD   -   Spielzeit: 66' 47
Booklet: deutssch / französisch / englisch   -   28 Seiten   -   12 Abbildungen
€ 18,90

 

Die vorliegende Einspielung ist Werken Johann Sebastian Bachs gewidmet, die durch ihre Bezeichnung, ihr Thema bzw. ihre Kompositionsstruktur eine Beeinflussung durch die Musik französischer Meister erkennen lassen und deshalb auf dieser CD mit vermutlichen Vorbildern der klassisch-französischen Orgelkunst kombiniert wurden. Mit Ausnahme der Aria in F-Dur (BWV 587), bei der es sich um eine notengetreue Bach’sche Transkription eines Légèrement überschriebenen Satzes für zwei Violinen und Basso continuo aus der 1726 erschienenen Triosonatensammlung »Les Nations« von François Couperin handelt, ist der französische Einfluß dabei mehr intuitiv als wissenschaftlich eindeutig belegbar wahrzunehmen. Bach verfügte schon als junger Komponist über die außergewöhnliche Kunstfertigkeit, aus fremden Themen, Klangvorstellungen oder musikalischen Inhalten vollkommen neue und eigenständige Werke zu schaffen, deren Großartigkeit die initiative Idee fast vollständig vergessen läßt.

1700 wurde der damals fünfzehnjährige Bach als Freischüler (»armer Leute Kind ... so sonst nichts zu leben habe«) an die Lüneburger Internatsschule aufgenommen, nachdem er 1694/95 seine Eltern verloren und vorübergehend in Ohrdruf bei seinem älteren Bruder Johann Christoph Unterschlupf gefunden hatte. Bei freier Unterkunft und Verköstigung erhielt hier der Knabe durch die musikalische Praxis einen ausgezeichneten Überblick über die kirchenmusikalischen Entwicklungen seit Ende des 16. Jahrhunderts, während er gleichzeitig in den Fächern klassische Literatur, Theologie, Latein, Griechisch, Rhetorik, Logik sowie Französisch eine grundlegende Ausbildung erhielt. Französisch war damals im Zeitalter Ludwig XIV. die Sprache des Hofes und der Diplomatie, und so waren alle Schüler des Internats angewiesen, auch untereinander ausschließlich französisch zu sprechen. Von größter Bedeutung war damals für Johann Sebastian die Freundschaft mit dem Tanzlehrer der Schule, Thomas de la Selle (einem Schüler des 1687 verstorbenen Versailler Hofkapellmeisters Jean-Baptiste Lully), der neben seinem Schulamt auch als Geiger am Celler Hof des Herzogs Georg Wilhelm von Braunschweig-Lüneburg tätig war und Bach des öfteren nach Celle mitnahm. Da der Herzog eine musikliebende Französin zur Gattin hatte, wurden unter der Leitung seines Kapellmeisters Philippe La Vigne vorwiegend französische Werke des späten 17. Jahrhunderts musiziert. Johann Sebastian Bach lernte hier zahlreiche Interpreten sowie ein ihm bis dahin unbekanntes Repertoire kennen, für das zwar keine Namen belegt sind, das aber leicht rekonstruiert werden kann: Marin Marais, Jean-Henri d’Anglebert, Michel-Richard Delalande, Jean-Baptiste Lully, Nicolas de Grigny, François Couperin, Louis Marchand etc.

Neben den musikalischen Eindrücken französischer Hofmusik kam Bach in seiner Lüneburger Zeit auch speziell mit französischer Orgelkunst in Berührung, da er vermutlich gerade in diesen Jahren eine vollständige Abschrift des 1699 publizierten »Livre d’Orgue« von Nicolas de Grigny anfertigte und außerdem im Organisten der Lüneburger Johanniskirche, dem berühmten Georg Böhm, einen brillanten, in der französischen Orgel- und Verzierungskunst höchst versierten Meister fand. Obwohl Bach niemals in Frankreich war, konnte er die französische Musik 1700 bis 1702 in Lüneburg sowie Celle gleichsam an der Quelle studieren, um sie in der Folge in einen kostbaren Bestandteil seiner eigenen künstlerischen Persönlichkeit zu verwandeln.

Augenscheinlich wird dies bei der berühmten Pièce d’Orgue (BWV 572), die in einigen Abschriften mit »Pièce d’orgue à 5 avec la Pedalle continu par J. S. Bach« überschrieben ist und deren drei Sätze Bach mit den französischen Bezeichnungen Très vitement, Gravement und Lentement versah. Sucht man in dieser circa 1705/06 in Bachs Arnstadter Zeit entstandenen Komposition nach konkreten französischen Elementen, so könnte man den majestätischen, fünfstimmig polyphonen Mittelteil als großartiges Grand Plein Jeu nach französischem Vorbild bezeichnen. Erwähnung verdient hier der Pedalton H der Kontraoktave, der im Gegensatz zu französischen Barockorgeln mit Ravalement auf deutschen Orgeln der Bachzeit unausführbar war. Trotz der französischen Bezeichnungen entspricht die Komposition formal jedoch mehr der norddeutschen Tradition, wie sie Bach 1701 bei einem Besuch Jan Adam Reinkens in Hamburg sowie während seines viermonatigen Aufenthalts bei Dietrich Buxtehude in Lübeck 1705/06 kennengelernt und dann offensichtlich mit seinen eigenen Vorstellungen französischer Orgelkunst kombiniert hat.

Nach Meinung des Verfassers trifft dies auch auf die Variationen der Partita diverse sopra ’O Gott, du frommer Gott’ (BWV 767) zu, die etwa 1707 vielleicht noch in Arnstadt oder bereits an Johann Sebastian Bachs neuem Wirkungskreis als Organist an der St. Blasiuskirche zu Mühlhausen geschrieben wurde.

Mit Ausnahme der kunstvollen Kanonischen Veränderungen über ’Vom Himmel hoch, da komm ich her’ von 1746 beschäftigte sich Bach nur in seiner Jugendzeit mit der vor allem von Georg Böhm meisterhaft gepflegten Form der Choralpartita, wobei von der Bachforschung immer wieder versucht wird, bei übereinstimmender Zahl von Partiten und Liedversen die einzelnen Partiten als inhaltliche Ausdeutung der entsprechenden Choralstrophe zu sehen. Scheint dies auch auf die ausdrucksvolle Chromatik der vorletzten Variation und den Text der achten Liedstrophe (»Laß mich an meinem End auf Christi Tod abscheiden«) zuzutreffen, so sind weitere, für Bachs späteres Choralschaffen so typische Zusammenhänge zwischen Text und Musik nicht zu erkennen. Die Partita ’O Gott, du frommer Gott’ präsentiert sich vielmehr als lose Aneinanderreihung verschiedener Variationen, von denen einige aufgrund ihrer Kompositionsstruktur und damit Registrierung von den Sätzen einer klassisch-französischen Orgelsuite beeinflußt sein könnten: Plein Jeu (Partita I, in unserer Aufnahme à la française mit Cantus firmus im Pedal), Duo oder Récit de Cornet (Partita II), Basse de Cromorne (Partita VI) sowie Dialogue (Partita IX mit ihrem steten Wechsel zwischen Grand Plein Jeu und Petit Plein Jeu).

In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, daß Bach stets sehr eigen zu registrieren pflegte, wie dies unter anderem von Forkel überliefert wurde: »Seine Art zu registrieren war so ungewöhnlich, daß manche Organisten und Orgelmacher erschracken, wenn sie ihn registrieren sahen. Sie glaubten, eine solche Vereinigung von Stimmen könne unmöglich gut zuammenklingen, wunderten sich aber sehr, wenn sie nachher bemerkten, daß die Or gel gerade so am besten klang und nur etwas Fremdartiges, Ungewöhnliches bekommen hatte, das durch ihre [eigene] Art, zu registrieren, nicht hervorgebracht werden konnte.« Zählten zu Bachs Registrierungen auch solche im französischen Stil?

Es wurde bereits erwähnt, daß Bach eine Abschrift des »Livre d’Orgue« von Nicolas de Grigny anfertigte und somit mit der Musik des Titularorganisten der Kathedrale zu Reims bestens vertraut war. Zu den Höhepunkten in de Grignys Schaffen zählen seine Bearbeitungen über den Hymnus Pange Lingua, von denen das berühmte Récit [en taille] du Chant de l’Hymne précédent mit der wunderbaren Ausdruckskraft der (wie bei de Grigny) reich verzierten Choralbearbeitung O Mensch, bewein dein Sünde gross (BWV 622) aus Bachs Orgelbüchlein verglichen werden kann.

Die Fantasie c-Moll (BWV 562) geht in ihrer Konzeption eindeutig auf eine für Petit Plein Jeu geschriebene Gloriafuge de Grignys zurück, wobei neben dem ähnlichen thematischen Beginn der beiden Kompositionen auch auf die Fünfstimmigkeit des Satzes sowie die zahlreichen Vorhalte verwiesen sei, die nicht nur als melodische Verzierungen, sondern vor allem zur Verstärkung der harmonischen Effekte dienen. Auch die der Fantasie folgende, mit nur siebenundzwanzig Takten unvollendet gebliebene Fuge zeigt französischen Charakter, wobei es sich bei ihrem Thema um die Umkehrung des Themenbeginns von Bachs berühmter Passacaglia handelt!

Die ersten vier Takte der Passacaglia (BWV 582) gehen wiederum auf ein »Christe. Trio en passacaille« aus der »Messe du 2ème ton« des in Paris wirkenden Komponisten André Raison zurück, die von Johann Sebastian Bach auf acht Takte vervollständigt und als Grundlage einer Komposition verwendet wurden, die mit ihren zwanzig Variationen und der anschließenden Permutationsfuge (Thema und zwei obligate Kontrapunkte im ständigen Wechsel der Stimmen) nicht nur als Höhepunkt dieser speziellen Gattung, sondern darüber hinaus auch zu den herausragendsten Meisterwerken der Orgelkunst aller Zeiten gezählt werden muß. Erstaunlich ist die Tatsache, daß es sich bei Bachs Passacaglia nicht um ein Spätwerk aus seiner Leipziger Zeit (1723 bis 1750), sondern um eine relativ frühe Komposition handelt, die dieser vermutlich 1717, seinem letzten Jahr als Kammermusicus und Organist am Hof des Herzogs Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar verfaßt hat. Am 5. August 1717 wurde Bach dann als Hofkapellmeister an die Residenz des Fürsten Leopold von Sachsen-Anhalt in Cöthen berufen, mit dem er auch wiederholt Reisen unternahm. Im September 1717 hielt er sich beispielsweise in Dresden auf, wo er unter anderem den bekannten Pariser Organisten und Komponisten Louis Marchand treffen wollte, doch soll sich Marchand dem musikalischen Duell der beiden Meister durch vorzeitige Abreise entzogen haben. Da Marchands Name durch diese Begegnung einen festen Platz in der Biographie Johann Sebastian Bachs gefunden hat, haben wir diese Einspielung um dessen Dialogue ergänzt, da dieses Werk ein schönes Beispiel für die kompositorische und klangliche Vielfalt sowie Virtuosität der klassisch-französischen Orgelmusik ist.

Günter Lade
(gekürzte Fassung des Booklet-Textes)

 


P r o g r a m m

 
01
Louis Marchand (1669-1732)
Dialogue (3ème Livre)
6'55
2-10
Johann Sebastian Bach (1685-1750)

Partita »O Gott du frommer Gott«, BWV 767
14' 22
11
François Couperin (1668-1733)

Aria F-Dur (Transcription, BWV 587)
3' 11
12-14
Johann Sebastian Bach (1685-1750)

Pièce d'Orgue, BWV 572:  Trés vitement - Gravement - Lentement
8' 11
15-17
Nicolas de Grigny (1672-1703)

»Pange lingua«, aus Livre d'Orgue, Les Hymnes
En taille à 4 - Fugue à 5 - Récit [en taille]

7' 29
18
Johann Sebastian Bach (1685-1750)
»O Mensch, bewein dein Sünde groß«, BWV 622
4' 21
19
Nicolas de Grigny (1672-1703)

Fugue, aus Livre d'Orgue, Messe
1' 07

20-21
Johann Sebastian Bach (1685-1750)

Fantasie und Fuge c-Moll, BWV 562
5' 55

22
André Raison ( † 1719)
Trio en passacaille, aus Messe du 2ème ton
0' 57

23-24
Johann Sebastian Bach (1685-1750)
Passacaglia et thema fugatum, BWV 582

12' 20

 

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