Die historische Freundt-Orgel (1642) sowie
Chororgel
in der Stiftskirche Klosterneuburg (Niederösterreich)
Auf
dem Platz des Stiftes Klosterneuburg siedelten bereits die Kelten,
und zur Römerzeit stand hier ein Kastell, auf dessen Fundamenten
um 1100 das Stift entstand. Einer der Stifter war Markgraf Leopold,
der um 1106 neben dem Stift eine Pfalz erbaute, deren Reste noch
vorhanden sind. 1113 gelangte er in den Alleinbesitz des Stiftes
»bei der Niwenburc« und berief 1133 Augustiner-Chorherren
hierher, die bis heute hier wirken. Noch im Jahrhundert der Gründung
erlebte das junge Kloster eine Zeit höchster religiöser
und kultureller Blüte. Während des ganzen Mittelalters
war das Stift ein Ort reger künstlerischer Betätigung,
auch Humanismus und Naturwissenschaften fanden eifrige Pflege,
und im 15. Jahrhundert war das Stift ein Mittelpunkt geographischer
und astronomischer Forschung. Nach der Belagerung durch die Türken
1683 entfaltete sich hier die barocke Schöpferkraft. Das
gigantische Escorial-Projekt Kaiser Karls VI. (1711-1740), als
Verbindung von Kloster und Residenz gedacht mit dem Vorbild des
Escorial bei Madrid, wurde allerdings nur zu einem Viertel verwirklicht.
Mit dem Tode des Kaisers riß die große künstlerische
Schaffensperiode des Stiftes ab. Sie wurde von einer wissenschaftlichen
Blüte abgelöst: 1768 wurde die theologische Lehranstalt
des Stiftes gegründet, viele Chorherren erwarben sich einen
bedeutenden Namen auf dem Gebiet der Theologie, der Geschichte
und der Naturwissenschaften. Seit der Heiligsprechung Leopolds
III. ist Klosterneuburg ein Nationalheiligtum Österreichs
und außerdem der Ausgangspunkt der deutschsprachigen Volksliturgischen
Bewegung.
Die
Grundsteinlegung der Stiftskirche erfolgte 1114, ihre Weihe 1136.
Ursprünglich hatte die Kirche die Gestalt einer dreischiffigen
Basilika über kreuzförmigem Grundriß mit drei
halbkreisförmigen Apsiden und einem Turm über dem Quadrat
der Vierung. Diese Anlage ist bis heute erhalten, aber Außenbau,
Gliederung und Ausstattung wurden später vielfach verändert.
1394 begann der Bau des Südturmes, 1636 wurde der Vierungsturm
abgebrochen, 1638 bis 1644 der Nordturm errichtet. Die erste Etappe
der Barockisierung der Stiftskirche fiel in die Jahre 1634 bis
1645, die zweite in die Zeit von 1680 bis 1702. Die Fenster wurden
vergrößert, das Gewölbe des Langhauses erneuert,
die Seitenschiffe in Kapellen unterteilt, die Westempore errichtet
und das Kirchenschiff mit Stukkaturen und Fresken geschmückt.
Die letzte Steigerung erfuhr der Kirchenraum in der Ausstattung
des Presbyteriums durch das ungemein reich geschnitzte, mit vierundzwanzig
Wappen aus dem Hause Habsburg geschmückte Chorgestühl,
das darüberliegende Hoforatorium und den monumentalen, marmornen
Hochaltar.
1879 begannen umfangreiche Restaurierungsarbeiten an der Kirche,
ihr Ergebnis waren die vermeintliche Wiederherstellung der mittelalterlichen
Formen des Außenbaues und der unglückliche, neugotische
Ausbau der Türme.
Der
ehemalige Kapitelsaal des Stiftes wurde nach der Heiligsprechung
Leopolds, der hier bestattet ist, als St.-Leopolds-Kapelle zum
Wallfahrtsort. Der Grabaltar des Hl. Leopold, 1181 vom Meister
Nicolaus von Verdun geschaffen und 1331 zum Flügelaltar umgebaut,
ist eines der schönsten und bedeutendsten Emailwerke des
Mittelalters und wurde als Verduner Altar weltberühmt. Er
zeigt in fünfzehn Tafelgruppen einen Überblick über
die gesamte Heilsgeschichte.
Die
große Festorgel ist in den Jahren 1636 bis 1642 von dem
Passauer Orgelbaumeister Johannes Freundt unter Verwendung des
Pfeifenwerkes zweier bedeutend älterer Orgeln in der heute
noch erhaltenen Form gebaut worden. Sie besitzt drei Manuale und
Pedal mit 35 Registern und 2179 Pfeifen, die sämtlich aus
Zinn gefertigt sind. Das große, ganz aus Eichenholz gearbeitete
Hauptgehäuse enthält das Hauptwerk und das Pedal. Im
Fuß dieses Hauptgehäuses ist über dem Spielschrank
das kleine Brustwerk angeordnet, dessen Pfeifenfront von einer
Verzierung mit der Jahreszahl 1642 bekrönt ist. An der Chorbrüstung
ist als Gegenstück zum mächtigen Hauptwerk das zierliche
Rückpositiv angebracht, das Reste der gotischen Bekrönung
der früheren Orgeln trägt. Die Gehäuse- und Bildhauerarbeiten
wurden von Jakob Kofler, Konrad und Michael Schmidt, Georg Gemelich
und Max Preyer ausgeführt. Die von Andreas Juriz gemalten
Flügeltüren, die die Gehäuseteile verschliessen
konnten, sind bedauerlicherweise nicht mehr vorhanden. Den großen
Pedal-Mittelturm krönt die Statue Papst Gregors I., den epistelseitigen
Turm der Hl. Augustinus, den evangelienseitigen der Hl. Ambrosius,
während in Brustwerkshöhe epistelseitig die Figur des
ersten Propstes von Klosterneuburg, Hartmann, und evangelienseitig
St. Nicolaus zu sehen sind. Der Spielschrank enthält die
drei kunstvollst ausgeführten Manualklaviaturen, das Pedal
und die als schöne Schmiedearbeit von Peter Steig ausgeführten
Registerhebel.
Die
Festorgel ist das älteste original erhaltene Monumentalorgelwerk.
Die besondere Qualität des gesamten Baumaterials, sowohl
der Pfeifen als auch der Windladen und des Gehäuses hat ihr
hohes Alter ermöglicht und ist in Zusammenhang mit der kunstvollen
Bemessung die Grundlage für den hervorragenden Klang der
Orgel. Dieser ist in seinem Vollen Werk auf die voll besetzte
Kirche abgestimmt und überaus prächtig.
Die
Orgelgeschichte der Stiftskirche Klosterneuburg im Überblick
1379
Reparatur bestehender Orgeln.
1441 Neubau einer »großen« Orgel.
1556 Neubau der großen Orgel durch Jonas Scherer (III/P/20).
15?? Neubau einer »kleinen« Orgel (II/P/18)
1642 Neubau der Festorgel durch Johannes Freundt, der Teile
des von 1556 stammenden Gehäuses sowie Pfeifen der aus dem
16. Jahrhundert stammenden Orgeln übernahm.
1717 Arbeiten durch den Wiener Orgelmacher Franz Rose (Umbau
der Wellenbretter und der Windversorgung).
17?? Beseitigung der Flügeltüren.
1748 Instandsetzung durch den bekannten Wiener Meister Johann
Hencke.
1821 Instandsetzung durch den ortsansässigen Johann
Georg Fischer (neue Balganlage, Oktavversetzung der Quintadena
8' in die 16' -Lage).
1832 Geringfügige Änderung der Disposition durch
Johann Georg Fischer: im Pedal Quintbaß 5 1/3' anstelle
Octavbaß 8' , im Rückpositiv Quinte 1 1/3'
anstelle Sedecima 1' sowie Mixtur 4fach 1' anstelle
der Cimbl.
1870 Ersatz des Krummhorns im Rückpositiv durch Salicional
8' .
1885 Neubau der Balganlage.
1905 Erneuerung der Zungenstimmen Pusaun 16' und Trompete
8' im Pedal sowie der Trompete 8' im Hauptwerk durch
Josef Ullmann (Wien).
1950 Wiederherstellung durch die Orgelfirmen Kauffmann (Wien),
Kuhn (Männedorf), Rieger (Schwarzach) und Zika (St. Florian)
unter der Leitung von Egon Krauss: u.a. Neubau der Spieltraktur
(mit Seilzugmechanismen für Hauptwerk und Pedal), Umbau und
Erweiterung der bestehenden, nicht mehr originalen Balganlage,
Verwirklichung einer gleichschwebenden Temperatur sowie Neubau
der mit Ausnahme des Brustwerk-Regals nicht mehr originalen Zungenstimmen.
1984 Restaurierung mit Rekonstruktion der Spielanlage, Trakturführung,
Windversorgung und einer modifiziert mitteltönigen Temperatur
durch die Firma Kuhn (Männedorf).
1990 Rekonstruktion der Zungenstimmen (Zinnkehlen) sowie
Neubau der Balganlage mit Keilbälgen durch Kuhn.
Die
Chororgel wurde 1780 von Anton Pfliegler erbaut und - im Gegensatz
zur ausschließlich für solistisches Orgelspiel konzipierten
Festorgel - im Dienste der Figuralmusik und des Gemeindegesanges
im historischen Gehäuse wiederholt erneuert, zuletzt 2005
durch Kuhn (Männedorf/Schweiz).