Âuf
seiner zweiten Aufnahme (2005) vereint Debeur unter dem Titel „Concert“
typische Assoziationsformen rund um den Konzertbegriff. Wie vielfältig
dieser ist, wird mit der Programmzusammenstellung deutlich.
Dazu gehören genuin weltliche Concerti
als klassische Gattungsvertreter von höfischen Konzerten und kammermusikalisch
inspirierten Solokonzerten, die Sinfonia als instrumentales Vorspiel
bzw. Vorläufer der konzertanten Symphonie, die klassische Symphonie
für das bürgerliche Konzertleben und die Bearbeitungstradition
fremder Werke für die Orgel (z.B. bei Bach), die seit dem 19. Jahrhundert
besonders für die Orgeln und das Musikleben der englischen und
amerikanischen Konzertsäle populär wurde. Und last but not
least die Form des modernen Orgelkonzerts auf einer Kirchenorgel mit
den Bach’schen Großwerken.
Die optischen Eindrücke der prächtigen
Orgelanlage werden hier hörbar gemacht. Der grandiose und prunkvolle
Tenor der CD verbirgt ein buntes Programm: anspruchsvoll und seriös
einerseits, vergnüglich und ausgelassen andererseits. Bestaunen
darf man die sichere Performance (Manualwechsel, Manualverteilung etc.),
welche die orchestrale Behandlung der Orgel – und damit auch die
Transkription der Haydn-Sinfonie – erst möglich machen. Verlassen
konnte sich Debeur dabei auf die Unterstützung seiner Registrantinnen
Simone Matzner-Seneschi und Andrea Wild, die praktisch lautlos agierten.
Der Spieltisch ist vor diesem Hintergrund der zentrale Ort des Geschehens
und daher auch auf dem CD-Cover in Szene gesetzt. Einen besonderen Effekt
bekommt das Cover durch den schwarzen Hintergrund, der den Blick unweigerlich
auf die Manuale, die Registerzüge aus Elfenbein und das kunstvolle
Notenpult lenkt.
Zunächst trägt das prächtige Gewand die Königin
von Saba in der einleitenden berühmten Sinfonia aus Händels
Oratorium „Solomon“. Händels Orgelkonzerte
fungierten als Zwischennummern während seiner Oratorien. So spielte
Händel erstmals selbst ein Orgelkonzert, nämlich das hier
eingespielte in F-Dur (HWV 293), in einer Oratorium-Aufführung.
Diese Orgelkonzerte eignen sich hervorragend für eine solistische
Aufführung auf der Orgel, weshalb es entsprechend viele Bearbeitungen
gibt. Debeur hat für diese Aufnahme eine Fassung von Marcel Dupré
gewählt. Im ersten Satz ist in den Solopartien das Kronpositiv
zu hören. Nahezu magisch trifft Debeur den Ton des „Alla
Siciliana“. Schmerzlich-süß schwebt die cantable
und lieblich verzierte Interpretation mit den Klängen der Vox humana
8‘ im Brüstungspositiv durch den Raum. Im „Allegro“
und „Presto“ erfüllt es die Funktion der konzertierenden
Orgel, während das Hauptwerk mit Pedal das Orchester stellt.
Auch die regionale Komponente ist durch
den in Biberach wirkenden Komponisten Knecht vertreten. Das einsätzige
„Kleine Flötenkonzert“ vertritt den kammermusikalisch
beeinflussten Typus des Orgel-Solokonzerts. Ein solistisches Flötenregister
wird von der leisen Coppel 8‘ des Oberwerks begleitet.
Seriös und elitär ist das
Gesamtkonzept, das auf sämtliche „Spielereien“ der
Orgel verzichtet. Doch nur auf derartiges zu verzichten bedeutet nicht,
dass der Humor zu kurz kommt. Das beweist Debeur mit der Weltersteinspielung
von Haydns Sinfonie „La Chasse“. Gerne gibt man
dem Gedanken nach, es handele sich hier um eine genuine Orgelkomposition,
denn die einfallsreichen Registrierungen und die spieltechnische Umsetzung
des Werks sind eine Garant für diese Überzeugungskraft. Als
Vorlage diente eine in London publizierte Transkription für Cembalo,
Orgel oder Piano-Forte, die Debeur grundlegend überarbeitet und
vervollständigt hat. Abwechslungsreich und in den verschiedenen
Werken, mit und ohne Zungen, werden verschiedene Plenumsregistrierungen
der einzelnen Werke und Klangkombinationen in Szene gesetzt. Der ausgesuchte
Einsatz der Zungen verleiht dem „Minuetto“, aber
besonders dem Finalsatz ein französisch inspiriertes Timbre.
Schließlich fällt die Klanggewalt auf einen weichen und sehr
vertrauten Ruhepunkt zurück. Eines der bekanntesten Orchesterwerke
Bachs, die „Air“ der 3. Orchestersuite als Orgelbearbeitung
von Gordon Phillips, lässt den Hörer zur Ruhe kommen. Sie
bereitet einen letztes Miteinanderstreiten in der Bach‘schen Orgelbearbeitung
des Konzerts G-Dur (BWV 592) nach Johann Ernst von Sachsen Weimar vor.
Einen Überraschungseffekt folgt unmittelbar vor dem Schlussstück,
wenn der Hörer in die mystischen Klänge der Orgel abtauchen
darf. Debeur präsentiert in seiner Orgelbearbeitung der Sinfonia
aus der Kantate „Ich steh mit einem Fuß im Grabe“
die Vox humana gerahmt von den getupften Harmonien der Begleitstimmen.
Zunächst in hoher Lage, entfaltet sie in der Tiefe ihre klagende
Wirkung – die Zeit steht für einen Augenblick still.
Zu einem köstlichen Dinner gehört
das Gleichgewicht von herzhaften und süßen Gerichten. Debeur
erweist sich hier als musikalischer Chef de Cuisine, denn er setzt dem
größtenteils süßen und freudigen Charakter der
Aufnahme den musikalisch ausgleichenden Kontrapunkt des Schlussstücks
entgegen: Bachs Passacaglia und Fuge BWV 582. Hier nutzt Debeur die
gesamte Bandbreite der Gabler-Orgel gebündelt aus, vom Tutti über
den im Nichts verschwimmenden Flötenton, bis zum Einsatz der 49fachen
Pedalmixtur „La force“ auf dem finalen C der Fuge.
Die Klangqualität der Aufnahme ist auch bei dieser CD klar und
zeichnend. Diese Eindruck wird besonders bei entsprechenden Wiedergabegeräten
und Lautsprechern der gehoben Preisklasse hörbar. Die Informationen
zur Orgel und dessen Erbauer stammen wie schon bei der ersten Aufnahme
von Dr. Friedrich Jakob. Die sehr umfangreiche Werkeinführung lieferte
CD-Produzent Günter Lade selbst. Der Schwerpunkt aus Barock und
Klassik liefert hier eine Aufnahme mit absolutem Seltenheitswert. Das
gilt für das Repertoire und das Instrument, aber besonders für
beides zusammen.
©
Jörg Marko Heese (2015)