Landschaft und Architektur haben
sich in Oberschwaben zu einer unverwechselbaren Einheit verbunden und
zeugen von der alten Kulturlandschaft, die in weiterem Sinn das Gebiet
von der Ostschweiz über Vorarlberg und das Allgäu bis zur
Schwäbischen Alb und zum heutigen Regierungsbezirk Schwaben umfaßte.
Während die barocken Kirchen- und Klosterbauten in den letzten
Jahren mit viel Aufwand renoviert wurden, fiel die Musik, die einst
untrennbar mit dem barocken Gesamtkunstwerk Oberschwabens verbunden
war, rund zweihundert Jahre einem totalen Vergessen anheim. Besonders
kraß ist dieses Defizit bei der Orgelmusik, zumal die Barockorgeln
als Zeugen der einstigen Blüte ja grossenteils noch vorhanden sind
und zusammen mit den Kirchenbauten ebenfalls restauriert wurden. Die
Musik dagegen, die auf diesen Orgeln gespielt wurde, blieb größtenteils
unbekannt. Das hat im wesentlichen zwei Gründe: zum einen wurde
überhaupt relativ wenig Orgelmusik schriftlich festgehalten, da
die katholische Liturgie die Improvisation, das Stegreifspiel erforderte.
Der andere war die Säkularisation, in deren Folge sämtliche
Klöster Oberschwabens im Jahre 1803 aufgelöst wurden. Damit
waren die wichtigsten Träger der oberschwäbischen Musikkultur
zum Aussterben verurteilt. Bei der Übernahme der Klöster und
ihrer Bibliotheken durch die neuen, meist adeligen Besitzer wurden vielfach
nur die wertvollen Bücher und Handschriften mitgenommen, lose gebundene
Musikalien dagegen in alle Winde zerstreut oder vernichtet.
Nach den katastrophalen Verlusten
des Dreissigjährigen Krieges begann Ende des 17. Jahrhunderts in
Oberschwaben mit der Hauptepoche der oberschwäbischen Barockarchitektur
auch eine neue Blüte der Orgelmusik. Führende süddeutsche
Komponisten wie Johann Jakob Froberger, Johann Kaspar Kerll und Georg
Muffat wirkten prägend auf den Orgelstil der klösterlichen
Komponisten dieser Region. Wie es für die süddeutsche Musik
für Tasteninstrumente typisch ist, gab es auch in Oberschwaben
keine Trennung zwischen Orgel- und Cembalomusik: Clavier bedeutete ganz
allgemein Tasteninstrument; das Orgelpedal wurde nirgends ausdrücklich
verlangt und nur bei Orgelpunkten und zur gelegentlichen Verstärkung
der Baßtöne eingesetzt. Die Austauschbarkeit der Musik für
Tasteninstrumente hatte zur Folge, daß weltliche Cembalomusik
unbedenklich auch in den Kirchen gespielt wurde und nun sogar Tänze
- besonders die französischen - auf der Orgel erklangen. Als weitere
Besonderheit ist der Einfluß des italienischen Barockkonzerts
vor allem in den Parthien von Conrad Michael Schneider, Isfrid Kayser
und Augustin Büx zu beobachten.
Während die zweite Hälfte
des 18. Jahrhunderts in Oberschwaben einen letzten Höhepunkt des
barocken Kunststils sowie Lebensgefühls brachte, setzten gleichzeitig
- besonders in der Musik - verschiedene vorklassische und klassische
Tendenzen ein. Bei der Entwicklung des neuen Stils war die Mannheimer
Schule auch in Oberschwaben von großem Einfluß. Mannheimer
Elemente zeigen sich etwa in liedartigen Themen (singendes Allegro),
in der Kleingliedrigkeit der Motive und Themen und deren Reibung sowie
einer verhältnismäßig einfachen Harmonik. Die Errungenschaften
der Mannheimer trafen mit dem neuen einfach-ungekünstelten Ton
sicherlich in besonderer Weise auf das Naturell des Oberschwaben, das
sich durch Lebensfreude, Naivität, Herzlichkeit und Empfindungswärme
auszeichnet. In kürzester Zeit war in Oberschwaben, wo in der Bildenden
Kunst Barock und Rokoko noch weiter vorherrschten, in der Musik der
Barockstil passé. Alte Musikalien, die nicht dem neuen Mu-sikgeschmack
entsprachen, wurden beseitigt. Klassische Musik in barocken Räumen:
in Oberschwaben verbanden sich beide Stile zu farbenfroher Harmonie.