Auf der neuen CD stellt Stephan Debeur
den Klangreichtum der weltberühmten Weingartner Gabler-Orgel mit
ausgesuchten Werken süddeutscher Meister vor. Im Booklet-Text berichtet
er ausführlich über das Leben der Komponisten, über die
eingespielten Werke sowie über die von ihm für das Spiel auf
dem historischen Instrument gewählten Registrierungen, die auch
die beim Publikum beliebten Spielregister wie Kuckucksruf, Vogelgezwitscher,
Tympan und die beiden Glockenspiele stilvoll miteinschließen.
Jörg
Marko Heese über die neue, dritte Einspielung der weltberühmten
Gabler-Orgel durch Stephan Debeur:
"Nach derartig weltläufiger Literatur der
ersten beiden Aufnahmen EL CD 042 und EL CD 044 entschied sich Stephan
Debeur in der vorerst letzten Aufnahme für einen gewagten aber
letztlich absolut konsequenten Schritt: Orgelmusik aus dem geographischen
und zeitlichen Umfeld der Orgel und Basilika in Weingarten, mit bekannten
Namen aus der ersten Aufnahme. Dennoch gewagt, da die Meinung kursiert,
dass unbekannte Werke, von denen nicht bereits verschiedene Aufnahmen
existieren, per se nicht so interessant sein können und weil man
mit Unbekanntem stets das Risiko einkauft, es könnte nicht gefallen.
Doch zuweilen wird man eines Besseren belehrt, wenn man sich auf das
Experiment einlässt – so auch in diesem Fall.
Bereits das Cover deutet den Inhalt der Aufnahme an:
nur ein kleiner Ausschnitt aus einem großen Fundus, der aber keine
Wünsche offen lässt und in dem es viele schöne Details
zu entdecken gilt. Man erkennt die großen Basspfeifen, die warme,
rötliche Holzmarmorierung des Prospekts, die detailverliebten und
verspielten goldenen Schleierbretter und Verzierungen sowie die darin
sitzenden musizierenden Putten. Der Blick dahinter erfolgt optisch beim
Öffnen des Booklets mit den Fotos der Weingartner Spielregister
und akustisch beim Entdecken ihres vielfältigen Einsatzes in den
Stücken.
Mit den Spielregistern ist es so eine
Sache. Wenn man sie hat, will man sie auch nutzen. Dabei muss bei solchen
Besonderheiten ein sparsamer Umgang beachtet werden. Schon Sigfrid Karg-Elert
warnte bei einem zu häufigen Gebrauch exquisiter Klangfarben bei
der Orgel vor einer „Monotonie der Reize“. Genau dies zu
vermeiden ist Stephan Debeur durch den maßvollen Umgang in dieser
Aufnahme gelungen. Im Rahmen der ausgewählten Literatur bot sich
ein entsprechender Gebrauch an. Wer sich einen umfassenden Eindruck
der Spielregister verschaffen will hat hier die Gelegenheit –
auch sich inspirieren zu lassen. Dabei ist es kein exzessives Ausnutzen,
sondern ein gezieltes Einsetzen in einem nicht vorhersehbaren, vergänglichen
Moment, der dem aufmerksamen Hörer stets ein Lächeln entlocken
wird.
Im prunkvollen Plenum umrahmen ein
gravitätisch-akkordischer Beginn und Schluss die sechs kleinen
Fugen in Fischers „Praeludium septimum“, ein dem süddeutschen
Stil verpflichtetes Werk, das die Aufnahme eröffnet. Debeur nutzt
die spezifische Idiomatik, um verschiedene Register vorzustellen. So
im vierten Fugenabschnitt, den er in zarter 2‘-Lage registriert
und zu deren Idiomatik sich das Gezwitscher der „Rossignol“
gesellt. Ein kleiner Weckruf des Kuckucks leitet in die dynamisch und
rhythmisch gesteigerten letzten beiden Fugato-Abschnitte.
Diesem anfänglichen Paukenschlag stellt Debeur
drei Stücke von Gottlieb Muffat gegenüber, dessen Vater Georg
den heute noch sehr bekannten "Apparatus musico-organisticus"
schuf. Die ausgesuchten Werke im gelehrten Kontrapunkt entstammen seiner
Sammlung "32 Ricercare und 19 Canzonen" (1733) und sind Zeugnis
des zeittypischen Stils des gelehrten Kontrapunkts. An Frescobaldi erinnert
das „Ricercata XXVI“ im stile antico. Locker bewegt kontrastieren
die zwei sehr unterschiedlichen Canzonen, mit denen Debeur die enge
Verbindung zwischen Satzfaktur und Registrierung demonstriert, sei es
durch die lichte Rohrflaut 4‘ („Canzona XVII“) oder
durch das Kombinieren von Hauptwerk und Brüstungspositiv in der
„Canzona XI“.
Joseph Lederer ist ein Vertreter der oberschwäbisch-bayrischen
Klostermusiker, dessen Stücke durch ihre heitere Leichtigkeit,
vergleichbar seinem Münchener Kollegen Theodor Grünberger
(s.u.), mit harmonischen und eingängigen Einfällen die Aufmerksamkeit
des Hörers gewinnen. Die Wiederholungen von Bestandteilen innerhalb
der Stücke können durch das umfangreiche aber so effektvolle
Echowerk der Gabler-Orgel vielfältig dargestellt werden. Und nicht
nur das. Wo ein Kuckuck in den Noten verborgen scheint, lässt Debeur
ihn dann auch mit dem Cuculus tatsächlich aus der Orgel fliegen.
Und als in der beschwingten „Polonaise“ dann auch die Pauke
geschlagen wird und das silberne Manualglockenspiel erklingt ist die
Überraschung gänzlich gelungen.
Die Zusammenstellung der Stücke von Christian
Erbach nutzt Debeur für einen kleinen „Stimmungslehrgang“
und eine Präsentation der Prinzipalregister. Das betrifft sowohl
die Vorstellung der unterschiedlichen Prinzipalmensuren des I. und II.
Manuals, den Effekt der ungleich schwebenden Stimmung der Gabler-Orgel
in entsprechenden Akkorden, verschiedenen Prinzipalregistrierungen bis
zum Mixturplenum und die Anwendung eines weiteren Echo-Effekts. Die
Werkeinführung gibt detaillierten Aufschluss zu den Stücken.
Einen ganz besonderen Charme haben die Messen von Theodor
Grünberger. Unkonventionell, überraschend und erheiternd.
Zeitgleich erfordern sie eine intensive interpretatorische Leistung
des Organisten. Die Messen in Gänze sind schemenhaft und technisch
überschaubar. Gleichzeitig bieten sie Raum für den Interpreten,
der mit Leben erfüllt werden muss. Debeur weiß es, diesen
Raum zu nutzen, indem er mit Echowirkungen und dem Einsatz der Spielregister
ideal umgeht. Überraschend wie die Musik ist auch der Spielregistereinsatz,
dabei wirken sie stets genau richtig platziert – obwohl Grünberger
nichts von Ihrer Verwendung im Notentext vermerkt hat. Sie passen sich
dem Charakter der Einzelstücke durch geschickte Auswahl an - und
wer sich während dem Hören bei dem Gedanken an Mozart ertappt,
der hat seine Freude an dieser Musik.
Einen mystischen Akzent setzt Eberlins „Toccata
sexta“, deren harmonisches Geflecht wie ein unendliches, sanftes
Rauschen des Meeres in der Unda maris durch die Basilika klingt. Sie
ist die Vorbereitung des fulminanten Finales mit der „Fantasie
F-dur“ des Biberacher Komponisten Justin Heinrich Knecht als würdige
Gegenpart zum gravitätischen Anfangsstück.
Dank der Erfahrungen des Kirchenmusikers und CD-Produzenten
Günter Lade vermittelt die CD erneut einen äußerst klares
und deutliches Bild der Gabler-Orgel und lässt ihre Stärke
– und das sind ihre leisen Töne – auch auf einer Aufnahme
deutlich nachempfinden. Die hervorragende Aufnahmequalität vermittelt
einen genussvollen Klangeindruck, wie er nur von den oberen Plätzen
in der Basilika wahrgenommen werden kann, sei es als Zuhörer oder
gar als Organist. Die detaillierte Werkeinführung stammt von Stephan
Debeur, der neben der ausführlichen Quellenkenntnis, Eigenedition
der Notentexte und langjährigen Erfahrung an der Gabler-Orgel das
Optimum aus Musik und Instrument herauszuholen vermag. Die Literaturauswahl
verleiht der CD einen sehr konzertanten Charakter, der gänzlich
ohne Choralbezüge auskommt, was aber genau dadurch für ein
geschlossenes Gesamtkonzept sorgt. Die Tonsprache der unmittelbaren
Dekaden nach Bach ist auf der Orgel durch die musikhistorische Veränderung
und romantische Betrachtung heute wenig bekannt bzw. Werke der Zeit
wurden gar als nahezu unbedeutend deklariert. Spätestens nach dem
Verklingen der letzten Akkorde dieser Aufnahme wird man seine Meinung
ändern müssen. Es ist ein Verdienst Debeurs diese Musik auf
einem so vielfältigen Instrument dieser Zeit wieder einem breiten
Publikum zugänglich zu machen. Eine Aufnahme nicht nur für
Kenner und Liebhaber.
Schlusswort über alle Aufnahmen
Drei Aufnahmen – unabhängig
vom Einzelcharakter – erinnern schon durch den Titel der zweiten
CD stark an ein typisch barockes, dreisätziges Concerto. Doch würde
man der Gabler-Orgel Unrecht tun, sie ausschließlich in dieser
Zeit zu verorten. Was ist kennzeichnend für die Zeit nach 1750?
Es ist der Entwicklungszeitraum der Symphonie, womit im Allgemeinen
die Viersätzigkeit in den Vordergrund tritt. Klang der Gabler-Orgel
und der Geist der Symphonie lassen nur einen Schluss zu: der Weg zu
einer vierten CD! Was die Liebhaber und Interessenten erwarten dürfen
bleibt offen. Schließlich sind wir im Orgelgenre unterwegs und
Symphonien auf diesem Instrument kennen keine Beschränkung auf
Viersätzigkeit."
©
Jörg Marko Heese (2015)